Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Es wird Moos in den Mauerritzen wachsen, seltene Reptilien werden in den leeren Rohren nisten und sich von Algen ernähren, die in den Pfützen gedeihen, Biologen werden kommen und forschen. Dann und wann werden wir unsere Rollatoren hier vorbeischieben und zueinander sagen: Weißt du noch, damals? Das sollte mal unser Zuhause werden.«
Von Katja stammt die Feststellung: »Für das Wetter kann keiner was.«
»Nun, für das Wetter kann keiner was«, sagt mein Mann, wenn er morgens zur Arbeit aufbricht und vor der offenen Haustür stehend sondiert, wie viele Pfützen er überspringen muss, um halbwegs trockenen Fußes zum Auto zu gelangen.
»Du weißt ja«, sagt er, wenn er nach einem Spaziergang mit dem Hund die tropfnasse Regenjacke auszieht, »für das Wetter kann keiner was.«
»Das Wetter! Dafür kann nun wirklich keiner was«, sagt er, wenn wir abends ins Bett gehen und der Regen dazu sein Schla f lied auf das Schlafzimmerfenster trommelt.
»Hast du schon gesehen? Ab morgen soll es nicht mehr regnen!«, sagt mein Mann irgendwann.
Das Wetter wird tatsächlich besser, der Dachdecker kommt trotzdem nicht. Dafür kommt Ingo, der Patenonkel unserer Tochter, zu Besuch. Ingo ist breitschultrig und durchtrainiert, Besitzer eines Porsches und dreier bildhübscher Mädchen und ein sehr erfolgreicher Anwalt. Als Vater ist er ein totales Weichei. Wenn er von seinen Töchtern erzählt, dann mit der samtenen Stimme und dem verklärten Gesichtsausdruck des hilflos liebenden Mannes. Wenn er allerdings über seine Arbeit spricht, verwandelt er sich in einen Pitbull – selbstgewiss, unerschrocken, kampfbereit. Ich bin sicher: Für seine Klienten stürzt er sich zähnefletschend auf den Gegner und lässt nicht locker, bis der andere unten liegt und um Gnade winselt. Ingo hat, wie es sich für einen Porsche fahrenden Kampfhund gehört, eine extrem große Klappe, und die benutzt er gerne dazu, Freunden zu erklären, auf welch einfache Weise sich komplizierte Probleme regeln lassen: »Pass auf, das ist ganz einfach. Du musst die Handwerker anschreien«, sagt Ingo zu meinem Mann, denn in der Welt, wie Ingo sie sieht, sind es ganz klar die Männer, die fürs Anschreien von Handwerkern zuständig sind. »Das ist nämlich so: Handwerker müssen immer mehr Aufträge annehmen, als sie erledigen können. Weil, ganz klar, wenn sie nicht zu viele Aufträge annehmen, dann braucht nur mal ein Auftrag zu platzen oder muss verschoben werden oder so – und schon haben sie zu wenig zu tun. Und weil sie immer viel mehr Aufträge annehmen, als sie in Wirklichkeit schaffen können, müssen sie immer mindestens einen Auftrag links liegen lassen. Und welcher Auftrag ist das? Logisch: Der, wo es am wenigsten Ärger gibt, wenn nichts passiert. Also muss man Ärger machen und sie anschreien, und zwar möglichst laut. Wer am lautesten schreit, kommt als Erstes dran; wer freundlich bleibt, bekommt niemals ein Dach. So läuft das, sag ich dir, das ist völlig normal.«
»Mist«, sage ich. »Wir sind beide nicht gut darin herumzuschreien.«
»Stimmt gar nicht«, sagt mein Mann. »Bei mir und den Kindern kannst du das ganz prima.«
»Außerdem bezahlen wir eine Architektin«, sage ich. »Ich dachte eigentlich, die schreit für uns.«
»Ganz einfach, dann müsst ihr halt die Architektin anschreien, damit sie endlich mal die Handwerker anschreit«, sagt Ingo.
»Kannst du das nicht für uns erledigen?«, fragt mein Mann. »Du kennst dich mit Schreien bestimmt viel besser aus als wir.«
»Sorry, das müsst ihr schon selbst machen«, sagt Ingo. »Ich habe keine Zeit, außerdem bin ich viel zu teuer für euch.«
Ich finde meinen Mann super, unter anderem deshalb, weil er kein Porsche fahrender Kampfhund ist, sondern eher der feinsinnige, friedfertige, humorvolle, trotzdem männliche Typ. Als ich jedoch die Mail lese, die er noch am gleichen Abend an Katja geschrieben hat, denke ich: Falls Ingo recht hat, wird das Haus tatsächlich niemals fertig werden. Mein Mann hat geschrieben: »Liebe Katja, der Dachdecker glänzt unverdrossen durch Abwesenheit. Sollen wir ihn beschimpfen? Liebe Grüße, Ch.«
Katja antwortet am nächsten Morgen: »Nein, bitte nicht schimpfen. Alles ist gut. Der Dachdecker beginnt am Montag mit seinen Arbeiten.«
Der Dachdecker beginnt am Dienstag mit seinen Arbeiten. Ein paar Tage später beginnt – der Winter. Keiner hat ihn so früh erwartet, schließlich wohnen wir in Hamburg, wo er sich normalerweise frühestens im Januar
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