Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Armaturen, Waschbecken, Duschen, Badewanne und Toiletten – also eigentlich für fast das gesamte komplizierte Innenleben eines funktionierenden Hauses, wenn man von der Elektrik mal absieht.
Am nächsten Morgen hatte ich mich wie so oft, wenn Arbeiter auf der Baustelle waren – manchmal sogar mehrmals täglich, nämlich wann immer ich daran vorbeikam –, im Haus umgesehen. Das Rohr sah gar nicht aus wie ein provisorisches Regenrohr. Es war in Dämmfolie verpackt und mit Haltern am Mauerwerk befestigt. Ich machte mit meinem Telefon ein Foto von dem Rohr und mailte es umgehend an Katja, um die Klärung der Angelegenheit zu beschleunigen. Ich dachte: Gott sei Dank habe ich ein Smartphone und eigentlich zwar keine, aber dann doch immer irgendwie Zeit, um regelmäßig das Haus zu besichtigen. Katja hat zwar die Bauleitung, aber das Architektenhonorar für den Bau eines Einfamilienhauses ist nicht hoch genug, um die Kosten für eine tägliche Baustellenbegehung abzudecken.
Nachdem ich das Foto versandt hatte, bat ich, die ungelernte Hilfsbauleiterin, einen der Monteure, die im Haus herumwuselten, ins Wohnzimmer und stellte ihn zur Rede: »Sagen Sie, was soll denn das Rohr da?«
»Das ist das Schmutzlüftungsrohr, das brauchen Sie, sonst stinkt das ja bei Ihnen im ganzen Haus nach Klo, und hier oben«, der Geselle nickte mürrisch Richtung Decke, »kommt noch der Belüftungskasten hin, und das wird dann übers Dach abgeleitet.«
»Aber doch nicht durch unser Wohnzimmer!«, sagte ich.
Ich schaute hoch, ich sah eine geschlossene Betondecke: Wo könnte denn da etwas abgeleitet werden?
»Dann müssten Sie ja nachträglich ein Loch in die Decke bohren. Das Dach ist doch schon ein erstes Mal abgedichtet«, hakte ich nach. »Sind Sie sicher? Steht das so in den Plänen?«
»Ja, ja, klar«, knurrte der Geselle mit der abweisenden Miene des Experten, der von Fachfremden mit geradezu ehrverletzend saublöden Fragen gemartert wird. »Da bin ich aber ganz sicher. Weil, sonst wäre hier ja schließlich kein Rohr.«
An einem grauen Novembermorgen wurde ich das erste Mal konfrontiert mit der Logik des pfuschenden Handwerks. Die Logik normal denkender Menschen besagt: Etwas ist richtig, weil es so gemacht wurde, wie es gemacht werden muss. Die Logik des pfuschenden Handwerkers lautet: Weil ich es so gemacht habe, muss es richtig sein.
Es war nicht richtig so.
»Ein Missverständnis«, sagte Herr Tiedemann zu Katja.
Seine Männer entfernten den Rohrabschnitt oberhalb der Zwischendecke wieder und zogen das Rohr stattdessen durch ein Loch, das sie in die Wand zum Elternbad schlugen.
Einerseits, dachte ich, Fehler bemerkt, Fehler behoben. Andererseits, dachte ich, ist das hier ja nur der Anfang. Ich dachte an Herrn Tiedemanns zu weichen Händedruck und entwickelte einen furchtbaren Anfangsverdacht, schob ihn aber schnell beiseite. Nur nicht hysterisch werden.
»Haha«, sagte ich zu meinem Mann und meinen Eltern und meinen Freunden und meinen Nachbarn und Kollegen. »Stellt euch vor, ein falsch verlegtes, fettes Rohr mitten im Wohnzimmer. Das gibt es also wirklich! Ich hoffe sehr, am Ende kommt kein Heißwasser aus den Klokästen.«
Damals gelang es mir noch, über Herrn Tiedemann und seine Leute zu lachen.
Inzwischen ist es Mitte Dezember, und die Kinder haben einen Tag schulfrei – wegen einer Unwetterwarnung. Draußen schneit es wie verrückt, die Straßen haben sich in Eisrutschen verwandelt, nur Wahnsinnige oder aus beruflichen Gründen zur Mobilität Verdammte wie mein Mann wagen es noch, Auto zu fahren. Der Stadt geht das Streusalz aus. Meine Schwiegermutter hat vergangene Woche das wahrscheinlich letzte Paar Schneespikes in Hamburg ergattert. Ich selbst bin in den letzten drei Wochen so oft gestürzt wie seit Oktober 1971 nicht mehr, als ich fünfzehn Monate alt war und laufen lernte. Es ist mir nicht mal mehr peinlich, vor den Augen Fremder »Huch!« zu schreien, auf der Suche nach dem nächsten Laternenmast, Zaun oder Baumstamm mit den Armen in der Luft zu rudern und zu Boden zu gehen. Wenn es nicht gerade gebrechliche alte Damen sind, die im Schnee herumkullern, dann schaut kaum noch jemand hin – so normal ist es geworden, auf Hamburger Straßen auf die Fresse zu fallen.
Die Pfützen im Haus sind längst gefroren. Seit Ewigkeiten haben wir keinen Handwerker mehr auf dem Bau gesichtet. Verständlicherweise, es will ja keiner bei der Arbeit erfrieren. Herr Lütjen, der nicht spottbillige, aber sympathische
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