Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Elektriker, an den wir den Auftrag zum Bau der Elektrik tatsächlich vergeben haben, könnte seine Kabel selbst dann nicht verlegen, wenn wir zu Globetrotter fahren und ihm in der Abteilung »Polarforscher« eine Runde witterungsadäquate Outdoorarbeitskleidung spendieren würden: Bei Temperaturen unter minus fünf Grad drohen die Kabel zu brechen. Der Bauwasserzähler, den Herr Tiedemann nicht zeitig genug gegen die Kälte isoliert hat, ist in einer bitterkalten Nacht geplatzt und muss ersetzt werden. Die Rechnung der Wasserwerke geht an uns. Ich vergesse zu fragen, ob nicht eigentlich er ihn bezahlen muss, und überweise das Geld.
Nachdem der Küchentischler sich nie wieder gemeldet hat, habe ich meine Küchenstudiotournee wieder aufgenommen und verbringe einen beträchtlichen Teil meiner Freizeit zwischen Musterküchen im Gespräch mit immer neuen Küchenberatern, von denen jeder behauptet, die Angebote und Vorschläge der jeweils anderen Küchenberater seien völlig daneben. Die Architektinnen haben uns außerdem aufgefordert, Fliesen für das Elternbad auszusuchen. Aus irgendwelchen für uns nicht nachvollziehbaren »planerischen Gründen« müssten die Fliesenformate bereits jetzt festgelegt werden, sagen sie – in Wirklichkeit halten sie den Besuch von Fliesenausstellungen wahrscheinlich für eine Art Beschäftigungstherapie, mit der sie uns in diesen frostigen Zeiten bei Laune halten wollen.
Mein Mann und ich fügen uns, obwohl wir eigentlich auch ohne Fliesengucken genug zu tun hätten: Schließlich ist Advent, jene furchtbarste Zeit im Jahreskreis, in der Eltern ständig Nikolausüberraschungen und Weihnachtsgeschenke besorgen, betriebliche Weihnachtsfeiern und schulische Adventsnachmittage besuchen und trotz alledem auch noch für eine beseelt-besinnliche häusliche Stimmung sorgen müssen, indem sie eifrig Kekse backen und Adventskranzkerzen anzünden.
Früher, damals, einst, als wir noch jung waren und das Leben unbeschwert, haben wir uns vor dem Kino oder im Park oder in der 439-Bar getroffen, um über Gott und die Welt und uns zu sprechen. Jetzt, wo wir endgültig erwachsen geworden sind und ein Haus bauen, treffen wir uns nach der Arbeit in Harry’s Fliesenmarkt, vor der Croonen Fliesenhandel GmbH oder im edlen »Showroom« der Firma Mortensen »Fliesen – Natursteine – Mosaike«, um Fliesenmuster nebeneinanderzuhalten und erstaunlich langatmig darüber zu diskutieren, ob wir unsere Bauherrenleiber zwischen anthrazitfarbenen oder schokobraunen oder doch lieber zwischen ganz hellen, zum Beispiel sandsteinfarbenen oder gar schneeweißen Fliesen pflegen möchten.
Den Kindern dämmert allmählich, dass ein eigenes Haus deutlich mehr kostet als eine Menge Geld. Es kostet Zeit, viel Zeit – Zeit, die fehlt, um einzukaufen, um zu kochen, um vorzulesen, um zuzuhören, um samstagvormittags auf dem Fußballplatz zu stehen und bei Punktspielen zuzugucken oder donnerstagabends Vokabeln abzufragen. Es fehlt Zeit, um geduldig zu bleiben.
Wenn ich zum Einkaufen gehe, ruft mein Sohn: »Aber bitte nicht schon wieder Thunfischpizza! Und bring auch mal Fünf-Minuten-Terrine mit, Tomate-Mozzarella. Oder Dosenravioli.«
Wenn ich aus dem Haus gehe und »Tschüss! Ich treffe mich mit Papa, guckt nicht zu lange fern!« sage, fragt meine Tochter: »Wenn jemand anruft und euch sprechen will, was soll ich dann sagen, wo ihr seid? Im Fliesen- oder im Küchenstudio?«
Wenn meine Kinder mich nerven, motze ich: »Mann, wir haben echt genug zu tun, reißt euch gefälligst zusammen und helft auch ein bisschen mit, indem ihr wenigstens euren eigenen Kram erledigt, ohne zu nörgeln.«
»Weißt du was«, sagt meine Tochter, »ich glaube, ich möchte gar kein Haus. Als ihr noch kein Haus gebaut habt, war nämlich alles viel schöner.«
Eines Abends erinnere ich mich an den Bild -Artikel über den drohenden Jahrhundertwinter. Ich suche und finde ihn im Internet und lese ihn mit dem wohligen Grusel, den Wirklichkeit gewordene Prophezeiungen auslösen, noch einmal durch. Ich lese: »Ursache soll eine Störung des Golfstroms durch die Ölkatastrophe vor Florida sein.«
Im April 2010 hatte es auf der im Golf von Mexiko liegenden BP -Ölbohrplattform Deepwater Horizon eine Explosion gegeben. Bis es gelang, das daraufhin beschädigte Bohrloch wieder abzudichten, waren bis zu einer Million Tonnen Öl ins Meer geflossen – eine der schwersten Umweltkatastrophen in der Geschichte der Menschheit und – zumindest laut Bild –
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