Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
einem roten Faserschreiber im Elektroplan herum. Ich gähne. Wir sitzen zusammen am Esstisch, es ist halb zwölf in der Nacht. Ich schließe die Augen, um den Schlafzimmeralltag eines sich – nicht mehr allzu lange – in den besten Jahren befindlichen Ehepaares an mir vorüberziehen zu lassen: Könnte es sein, dass wir demnächst eine individuell programmierbare, stufenlos verstellbare Heiz decke brauchen? Oder gar ein ergonomisch geformtes, Band scheiben schonendes Komfortbett mit elektrisch höhenverstellbarem Rückenteil? Hier und jetzt ist der Augenblick, in dem nicht nur unsere Gegenwart, sondern auch die Zukunft bedacht werden muss. Ich muss nach wenigen Sekunden die Augen wieder öffnen, um nicht auf dem Stuhl sitzend einzuschlafen. Trotzdem bin ich plötzlich hellwach.
»Halt!«, rufe ich. »Der Staubsauger! An mein Kopfende müssen nicht zwei, sondern drei Steckdosen! Eine muss doch frei bleiben für den Staubsauger. Guck noch mal ganz genau nach, wir brauchen in jedem Zimmer eine Staubsaugersteckdose, am besten gleich neben der Tür.«
Im perfekten Haus muss man keine Lampenstecker aus Steckdosen ziehen, um staubsaugen zu können. Und selbstverständlich braucht man dazu auch kein Verlängerungskabel.
»In den Flur im Erdgeschoss«, sage ich, »gleich am Ende der Fenster, da muss auch eine extra Steckdose hin, das Staubsaugerkabel ist doch gar nicht lang genug, um vom Arbeitszimmer in die Sofaecke zu reichen.«
»Und wo genau soll im Wohnzimmer die Buchse für den Fernseher hin?«, fragt mein Mann.
»Natürlich da, wo der Fernseher stehen wird«, sage ich. Und wo wird der Fernseher stehen?
»Auf dem roten Sideboard mit den Schallplatten«, sagt mein Mann. Und wo soll das rote Sideboard stehen?
»Gegenüber vom Sofa, damit man bequem auf den Fern seher schauen kann«, sage ich. »Und das Sofa muss auf jeden Fall an die Wand zum Schlafzimmer. An der Wand zum Flur kann es ja nicht stehen, weil man dann Richtung Fensterfront sitzt, und vor die Fensterfront das Sideboard mit dem Fernseher zu stellen finde ich doof. Wenn das Sofa an der Wand zum Schlafzimmer steht, muss das Sideboard an die gegenüberliegende Wand zum Kinderflur.«
»Aber die Wohnzimmertür geht nach innen auf«, sagt mein Mann. »Wenn wir das Sideboard an die Wand zum Kinderflur stellen, geht dann die Tür noch ganz auf oder haut die dagegen?«
Er steht auf, greift nach dem Zollstock, vermisst das Sideboard, kehrt zurück zum Esstisch und starrt auf den Grundriss: »Ich glaube, wir müssen es ein bisschen in Richtung Fenster schieben, damit das passt.«
»Aber da soll doch die Schiebetür zum Balkon hin!«, rufe ich. »Wie sieht denn das aus, wenn das Sideboard mit dem Fernseher den Durchgang zum Balkon versperrt? Die Schiebetür muss nicht an die Seite, sondern in die Mitte der Fensterfront, damit wir die Wände als Stellflächen nicht verlieren! Scheiße, morgen muss ich unbedingt Katja anrufen, damit sie mit dem Fensterbauer spricht und das schnell noch ändert.«
Es wird sich herausstellen, dass eine Schiebetür in der Mitte einer Fensterfront selbstverständlich mehr kostet als eine Schiebetür an der Seite einer Fensterfront. Eines der elementaren Gesetze beim Bauen: Ist man dazu gezwungen, etwas anders zu machen, wird das Andere nie billiger, sondern immer teurer. Wurscht. Die Mindestanforderung an ein perfektes Haus ist schließlich die, dass alle Möbel, die man braucht und mag, auch hineinpassen. Ich schreibe »Katja anr. wg. Schiebetür/ WZ « auf meine endlose To-do-Liste. Ich fühle mich dabei, als wären wir ganz knapp einer sehr großen Katastrophe entronnen.
»Willst du die Lampen überm Esstisch vom Flur oder von der Küchentheke aus anmachen können?«, fragt mein Mann.
Kurz nach Mitternacht beschließen wir, dass wir schlafen und morgen Abend weitermachen müssen mit dem Elektroplan. Zum Glück haben wir wenigstens die Einbauleuchten für das Obergeschoss schon vor Monaten ausgesucht: Bereits vor dem Gießen der Decke mussten wir festlegen, wo welche Lampen hinsollen. Als ich im Bett liege, bin ich nicht nur hundemüde, ich fühle mich ausgelaugt, innerlich leer, irgendwie deprimiert.
Die letzten Wochen habe ich damit verbracht, täglich das Auftauen und den Weiterbau des immer noch tiefgekühlten Hauses herbeizusehnen. In diesem Augenblick verspüre ich auf einmal keinerlei Vorfreude mehr: Wie viel Zeit und Energie es frisst, ein Haus zu bauen! Morgen Abend werden wir uns schon wieder den Kopf zerbrechen, wie
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