Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
mögliche Ursache auch für unsere Privatkatastrophe: Der Golfstrom ströme der Ölpest wegen nicht mehr ordent lich, was wiederum das vom Golfstrom beeinflusste Klima derart verändere, dass der diesjährige Winter in Europa außergewöhnlich hart ausfalle.
» BP ist verantwortlich dafür, dass wir nicht weiterbauen können«, sage ich zu meinem Mann. »Wir sollten uns einen Anwalt aus New York nehmen und den BP -Konzern auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für unsere zerrütte-ten Nerven verklagen. Wenn wir Erfolg haben, was ich für nicht unwahrscheinlich halte, können wir zehn Häuser bauen.«
»Nein, danke«, sagt mein Mann.
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 55.637,57 €
Ersatz Bauwasserzähler, Frostschaden 35,17 €
Zwischensumme 55.672,74 €
Unter Strom
Kaum sind die Fliesen für das Elternbad ausgesucht, schickt Katja uns einen Grundriss des Hauses, in den sie nach Absprache mit Sarah die verschiedenen Symbole für Steckdosen, Lampenkabel, Lichtschalter, Netzwerk-, TV - und Telefonanschlüsse eingefügt hat – den Elektroplan: »Guckt mal kurz drauf und gebt uns Bescheid, ob das so o.k. ist oder was ihr anders haben wollt.«
Als Mieter mietet man irgendeine bezahlbare Wohnung, die halbwegs zu den eigenen Bedürfnissen passt. Man zieht in die Wohnung ein und muss fortan zurechtkommen mit ihren kleinen und größeren Unzulänglichkeiten, die man von Anfang an kannte oder im Laufe der Zeit erst entdeckt. Ab und zu, wenn man sowieso gerade schlechte Laune hat, bekommt man einen Wutanfall und behauptet, das zu enge Badezimmer, die hässlichen Überputzkabel, die ungeliebte Raufasertapete, den fehlenden Balkon keinen Tag länger ertragen zu können. Dann beruhigt man sich wieder und findet sich – bis auf Weiteres – mit dem ab, woran man sowieso – vorerst – nichts ändern kann.
Als Bauherr hat man die Möglichkeit, sein neues Zuhause genau so zu planen, wie man es zu brauchen meint oder schon immer haben wollte. Klingt toll, ist aber tückisch. Denn die Freiheit, über Lage und Anzahl der Steckdosen ganz allein entscheiden zu können, bedeutet: Wenn man nach dem Einzug feststellt, dass man vergessen hat, an die Steckdosen für die Wii der Kinder und den erst zum Umzug bestellten HD -Festplattenrekorder zu denken, wenn man also doch wieder in den Baumarkt rennen und eine dieser klobigen Mehrfachsteckdosen kaufen muss, die man endlich nicht mehr hinter dem Hi-Fi-Schrank liegen haben wollte, weil sie dort nur den Kabelsalat vergrößern und die Staubwolkenbildung befördern – wenn also irgendetwas im eigenen, neuen Haus nicht perfekt geworden ist, dann gibt es niemanden, keinen Vermieter, keine Wohnungsbaugenossenschaft, keine überirdische Macht, die man dafür beschimpfen kann: Die Verantwortung für zu wenig Steckdosen trägt man als Bauherr ganz allein.
Wie die Freiheit zur Selbstverwirklichung uns überfordern, sogar krank machen kann, hat der französische Soziologe Alain Ehrenberg in seinem Buch Das erschöpfte Selbst beschrieben. Im Original trägt es den Titel La Fatigue d’être soi – »Die Müdigkeit, man selbst sein zu müssen«: Freiheit, so Ehrenbergs These, sei ein großes Glück für all jene, denen es gelinge, sie optimal zu nutzen. Wer jedoch nicht zu den Gewinnern, zu den Glücklichen und Erfolgreichen zählt, der kann das, anders als früher, nicht mehr dem Schicksal oder den Verhältnissen in die Schuhe schieben. Schließlich hätte er ja etwas aus sich machen können, wenn er sich nur stärker bemüht, mehr angestrengt, richtig entschieden hätte. Der Gescheiterte ist da-zu verdammt, sich verantwortlich zu fühlen für sein Scheitern.
Analog gilt für den Bauherrn: Wer baut und am Ende erkennt, dass das Bad zu klein geworden ist, ist nicht nur jemand, der mit einem zu kleinen Bad leben muss. Er ist ein Versager. Einer, der an der Freiheit gescheitert ist, indem er die einmalige Chance auf das perfekte Zuhause vertan hat. Sich selbst zu verwirklichen ist also nicht nur viel kräftezehrender, als sich dem Vorgegebenen zu fügen. Es kann auch noch schiefgehen. Eine mögliche Antwort der Seele auf den Stress, den die Freiheit in uns auslöst, ist laut Alain Ehrenberg die »Müdigkeit, man selbst sein zu müssen« – die Depression. Seit wir bauen, erahne ich, was er meint.
»Auf jeden Fall brauchen wir nicht nur eine, sondern zwei Steckdosen an jeder Bettseite«, sagt mein Mann. »Eine für die Nachttischlampe und eine für den Radiowecker.«
Er kritzelt mit
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