Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
viele Steckdosen wohin müssen, statt ins Kino zu gehen oder Zeitung zu lesen, statt endlich mal wieder zu vögeln oder mit den Kindern »Siedler« zu spielen. Ich denke: Bisher haben die Steckdosen dir auch immer irgendwie gereicht, egal, wie viele oder wenige es waren. Was ist nur aus uns geworden?
Am nächsten Tag poste ich auf meiner Facebook-Pinnwand: »Wie viele Steckdosen braucht der Mensch zum Leben?«
Eine Freundin antwortet: »Mindestens zwei in jeder Zimmerecke.« Ich beschließe, die Sache zu vereinfachen und mich an diese Faustregel zu halten. Ein paar mehr in der Küche und im Wohnzimmer, ein paar weniger in den Bädern, das muss reichen. Meine Kraft reicht nicht, um mir noch länger den Kopf über Steckdosen zu zerbrechen, als wir es schon getan haben: Ich bin nicht nur körperlich erschöpft, weil wir wegen der ständigen abendlichen, ehelichen Baubesprechungen unter chronischem Schlafmangel leiden. Ich verspüre immer öfter eine leichte Müdigkeit, ich selbst, also Bauherrin, sein zu müssen.
Bald darauf treffe ich mich mit Sarah und Herrn Lütjen, dem sympathischen Elektriker, auf der Baustelle. Weil auf der Baustelle sonst nie etwas passiert, weil die Baustelle also den Eindruck macht, als hätte derjenige, dem sie gehört, das Interesse an ihr verloren, habe ich – damit nicht irgendwel che an Baustellen interessierte Minderjährigen auf den ver eisten Gerüsten herumklettern, ausrutschen, fallen und sich das Genick brechen – neulich endlich ein Baustellenschild gekauft und am Bauzaun befestigt: »Baustelle – Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder.«
Auf der Baustelle legen Sarah, Herr Lütjen und ich gemeinsam fest, wo genau die Schalter und Dosen und die Deckenstrahler im Erdgeschoss angebracht werden sollen. Im Haus stehend, die Wände und Raumaufteilung vor Augen kann ich mir viel besser vorstellen, wo die Lampen hängen sollen und wo ich sie an- und ausmachen will, trotzdem möchte ich schnell nach Hause, in unsere Mietwohnung. Es ist arschkalt, ich bin unausgeschlafen und lustlos – und außer dem wird dieses Hauswrack sowieso niemals ein Stadium erreichen, in dem man darin Lampen anmachen und staubsaugen kann.
»Als Nächstes sollten wir uns mal Gedanken machen über Waschbecken und Armaturen und so weiter«, sagt Sarah zum Abschied. »Schaut euch am besten schon mal in ein paar Badausstellungen um.«
Oh nein, bitte nicht, denke ich. Ich sage: »Könnt ihr nicht einfach was aussuchen? Wird uns schon gefallen. Ihr habt doch sowieso immer die besten Ideen.«
»Nee, nee«, sagt Sarah mit dem amüsierten Blick und der festen Stimme einer Grundschullehrerin, die ihre Pappenheimer kennt. »So geht das nicht. Wir schlagen euch gerne etwas vor, aber ihr müsst schon wissen, was ihr ungefähr wollt.«
Abends sage ich zu meinem Mann: »Ich weiß, wir brauchen jeden Cent und haben keinen Skiurlaub gebucht, weil wir sparen müssen. Aber wir werden trotzdem wegfahren in den Märzferien, und zwar in die pralle Sonne – und wenn wir dafür einmal um den Erdball fliegen müssen. In der Sonne lege ich mich an den Pool und lese zehn Bücher nacheinander, ohne ein einziges Mal an Fliesen, Waschbecken, Deckenstrahler, Wasserhähne oder Toilettendrücker zu denken. Ich buche, und zwar jetzt sofort.«
Ich denke: Ist doch völlig egal, ob wir den Kredit in zwanzig oder zwanzigeinhalb Jahren abbezahlt haben. Hauptsache, wir leben dann noch.
Ein paar Tage später finde ich eine Mail unseres Vermieters im Postfach. Der Vermieter schreibt: »Ich war vorhin in unserem Keller unter dem Wintergarten. Gibt es einen vernünftigen Grund dafür, dass trotz (angekündigtem!) Regen die Markise ausgefahren ist? Jetzt muss sie allerdings erst wieder trocknen, bevor man sie einfahren darf.«
Während ich das lese, schrumpft mein Ego auf das einer Achtjährigen zusammen, die von ihren Eltern dabei erwischt wurde, dass sie ihre Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht und die dreckige Unterwäsche im Zimmer hat herumliegen lassen – und die darauf mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Trotz reagiert. Plötzlich freue ich mich wieder sehr, bald ein eigenes Haus zu besitzen.
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 55.672,74 €
Baustellenschild 2,35 €
Zwischensumme 55.675,09 €
Ich, die Haustürschlüsselbesitzerin
Anfang Januar steigt das Thermometer auf knapp über null, es beginnt endlich zu tauen. Herr Lütjen, der sympathische Elektriker, findet sich mit fingerlosen Handschuhen und
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