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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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aufeinander, das gegensei tige Misstrauen, die einander zugefügten Verletzungen bauen mit. Eines Abends – er hat sich ihr gegenüber wieder einmal sehr kränkend benommen, wie sie findet – rächt sie sich an ihm, indem sie ihm mitteilt, dass sie es sich anders überlegt habe: Die Backsteine, auf die sie sich geeinigt haben, kämen für sie doch nicht infrage. Ihr wäre wieder eingefallen, dass sie verputze Häuser viel lieber mag, und sie sähe gar nicht ein, warum alles immer nach seiner Nase gehen solle. Er wendet ein: Er habe es satt, ihre Launen ertragen zu müssen, wenn er seine Backsteine nicht bekäme, dann könne sie sich die Echtholzküche abschminken, der er nur ihr zuliebe zugestimmt habe.
    Im Laufe dieses Abends machen beide die Entdeckung, dass eine Baustelle ein ideales Schlachtfeld zum Austragen ungelöster, unterschwelliger Konflikte ist. Ein Hausbau bie tet tausend Themen, bei denen man, wann immer einem danach ist, sich stur stellen, einander saudoof, verantwortungslos, großkotzig oder kleinlich finden, einen Machtkampf anzetteln, den anderen mit Pingeligkeit, Gleichgül tigkeit oder einer aus Prinzip konträren Meinung piesacken kann. Ein Hausbau – ebenso wie ein Kind – kann eine stabile Beziehung extrem bereichern. Eine angeschlagene Beziehung kitten, das kann ein Hausbau nicht – ebenso wenig wie ein Kind. Im Gegenteil. Er gibt ihr höchstwahrscheinlich den Rest.
    Man stelle sich ein Paar vor, dessen Hausbau aus welchen Gründen auch immer zum finanziellen Desaster wird. Ernsthafte Geldsorgen vergiften die häusliche Atmosphäre selbst in den allerbesten Beziehungen. In nicht ganz so guten Beziehungen erst recht.
    Auf meinen Mann und mich trifft nichts davon zu, weshalb ich uns bisher für das fast perfekte Bauherrenpaar gehalten habe.
    Meine Verarmungsangst habe ich zum Glück im Griff, weil Katja die Einhaltung des Kostenplans im Griff zu haben scheint. Manches ist sogar billiger geworden als einkalkuliert, darum haben uns unerwartete Mehrkosten wie die für die neue Heiztherme zwar nicht gerade glücklich gemacht, aber auch nicht völlig aus den Latschen gehauen.
    Wie alle Paare haben wir dann und wann Beziehungsprobleme, aber keine, über die wir nicht reden können. Mein Mann sagt nur selten, dass es heute spät werden könne.
    Wir haben einen sehr ähnlichen Humor. Wir versuchen, in jeder Situation auch das Komische zu sehen, einem von uns fällt eigentlich immer ein Witz ein. Nur selten vergeht uns beiden gleichzeitig das Lachen. Meist bleibt einer von uns optimistisch genug, um den anderen aufzubauen.
    Wir streiten uns nie über Geld. Wenn wir Geld haben, geben wir es aus.
    Wir streiten nie ernsthaft über Geschmack. Meist sind wir uns darüber einig, was wir wollen. Manchmal sind wir uns nicht ganz einig. Dann gibt entweder der eine nach. Oder wir suchen weiter, bis wir uns einig sind. Sind wir uns einig, entscheiden wir gerne schnell.
    Wir streiten uns immer noch ab und zu über die gerechte Verteilung von Aufgaben. In den letzten Monaten hat sich gezeigt: Über die Verteilung der Hausbauaufgaben gibt es in unserem Fall nicht viel zu streiten. Quasi alles, was montags bis freitags zwischen sieben und siebzehn Uhr erledigt werden muss, muss ich machen. Mein Mann kann seinen Arbeitsplatz nur in Ausnahmefällen verlassen. Was abends und am Wochenende erledigt werden kann, teilen wir uns. Oder wir machen es gemeinsam.
    Die gemeinsame Arbeit an einem großen Ziel habe ich lange als beglückend empfunden. Es hat mir Spaß gemacht, gemeinsam mit meinem Mann nachzudenken, Pläne zu schmieden, Ideen zu entwickeln, Entscheidungen zu fällen. Ich hatte das Gefühl, dass uns das Haus zusammenschweißt. Dann wurde es allmählich anstrengend. Jetzt und hier, auf dem Supermarktparkplatz, kommt es mir plötzlich vor, als sei all unser Interesse aneinander, all die Liebe, Freude und Aufmerksamkeit, die wir mal füreinander empfanden, nach und nach in das Haus geflossen. Das Haus wird ein sehr, sehr schönes Haus – die perfekte Fassade für das Leben zweier Menschen, die einander über den Bau dieses Hauses fremd geworden sind.
    Mein Mann weiß nicht, wie ausgelaugt und dünnhäutig ich mittlerweile bin, sonst hätte er gewusst, dass ich Witze über fehlende Geburtstagsgeschenke gerade gar nicht komisch finden kann. Er weiß nicht, dass ich noch zwei, drei andere Sorgen habe als die, wann endlich der Fußboden verlegt wird. Er weiß das alles nicht, weil ich mich nicht mehr traue, es ihm zu

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