Ich hab dich im Gefühl
fragt Kate.
»Ja«, antworte ich zähneknirschend.
»Hat irgendjemand gesehen, wie du mit dem Mädchen geredet hast?«, setzt sie freundlich hinzu.
Ich ignoriere sie.
»Ich nehme noch die Worte Kunst, Architektur, Französisch, Latein und Italienisch dazu«, verkündet Frankie zu einem neuerlichen Tipp-Geräusch.
»Aha! Da haben wir dich, Justin Hitchcock! Nur
Gast
dozent am Trinity College, Dublin. Fakultät für Kunstgeschichte und Geisteswissenschaften. Fachbereich Kunst und Architektur. Bachelor in Chicago, Master in Chicago, Promotion an der Sorbonne, Spezialgebiete Geschichte der italienischen Renaissance und Barockskulptur, europäische Malerei von 1600 bis 1900 . Außeruniversitäre Aktivitäten: unter anderem Gründer und Herausgeber der
Art and Architectural Review
. Co-Autor von
Das Goldene Zeitalter der niederländischen Malerei: Vermeer, Metsu und ter Borch
, Autor von
Kupfer als Leinwand: Kupferstich
1575–1775 . Außerdem hat er über fünfzig Artikel in Büchern, Zeitschriften, Lexika und Konferenzprotokollen geschrieben.«
»Also gibt es ihn wirklich«, sagt Kate so ehrfürchtig, als hätte sie soeben den Heiligen Gral gefunden.
Ein bisschen selbstsicherer bemerke ich: »Versuch es mal mit seinem Namen und der London National Gallery.«
»Warum?«
»Ich hab so eine Ahnung.«
»Du und deine Ahnungen.« Kate liest weiter. »Er ist Kurator für Europäische Kunst an der National Gallery, London. O mein Gott, Joyce, er arbeitet in London. Du solltest dich mit ihm treffen.«
»Immer langsam, Kate. Nachher denkt dieser Justin, sie ist komplett irre, und lässt sie einliefern. Vielleicht ist er auch gar nicht der Blutspender«, gibt Frankie zu bedenken. »Und selbst wenn er es ist, erklärt das rein gar nichts.«
»Er ist es«, entgegne ich zuversichtlich. »Und wenn er mein Spender war, dann hat das für mich auf jeden Fall was zu bedeuten.«
»Wir müssen eine Möglichkeit finden, das rauszukriegen«, meint Kate.
»Er ist es«, wiederhole ich.
»Und was willst du jetzt machen?«, fragt Kate.
Mit einem kleinen Lächeln schaue ich zur Uhr. »Warum denkt ihr denn, ich hätte noch nichts gemacht?«
*
Justin hält das Telefon ans Ohr und wandert in seinem kleinen Büro in der National Gallery hin und her, so weit die Strippe reicht – was nicht sonderlich weit ist. Dreieinhalb Schritte in die eine, fünf Schritte in die andere Richtung.
»Nein, nein, Simon,
niederländische
Porträts, hab ich gesagt, obwohl du natürlich recht hast, dass es auch widerspenstige Porträts gibt«, lacht er.
»Das Zeitalter von Rembrandt und Frans Hals«
, fährt er fort. »Ich hab ein Buch darüber geschrieben, also ist mir das Thema durchaus vertraut.«
Ein halb fertiges Buch, an dem du vor zwei Jahren aufgehört hast zu arbeiten, du alter Lügner.
»Die Ausstellung wird sechzig Werke umfassen, alle entstanden zwischen 1600 und 1680 .«
Es klopft an der Tür.
»Moment bitte!«, ruft er.
Aber die Tür geht trotzdem auf, und seine Kollegin Roberta kommt herein. Obwohl sie erst um die dreißig ist, hat sie einen krummen Rücken und geht geduckt, das Kinn auf die Brust gepresst, wodurch sie mehrere Jahrzehnte älter wirkt. Meist sind ihre Augen zu Boden gerichtet und heben sich nur flackernd für einen kurzen Moment, ehe sie wieder abtauchen. Sie entschuldigt sich für alles, als wäre allein ihre Existenz eine Zumutung für den Rest der Welt. So auch jetzt, während sie sich im Slalom durch Justins Chaos zu seinem Schreibtisch vorzuarbeiten versucht. Genauso geht sie durchs Leben: so leise und unsichtbar wie nur irgend möglich. Was Justin eigentlich bewundernswert finden würde, wenn es nicht so traurig wäre.
»Entschuldigen Sie, Justin«, flüstert sie. In der Hand hält sie ein Körbchen. »Ich wusste nicht, dass Sie am Telefon sind. Sorry.« Schon weicht sie zurück, schleicht fast lautlos zur Tür und schließt sie leise hinter sich. Ein sanftes Lüftchen, das so dezent und langsam wirbelt, dass es sich fast gar nicht zu bewegen scheint und ganz sicher nichts in seinem Einflussbereich entwurzelt.
Justin nickt einfach nur, versucht sich auf das Telefongespräch zu konzentrieren und nimmt den Faden wieder auf.
»Sie reichen von kleinen individuellen Porträts für Privathäuser bis hin zu großen Gruppenporträts von Mitgliedern wohltätiger Organisationen oder Bürgerwachen.«
Auf einmal bleibt er stehen und beäugt das Körbchen argwöhnisch, als erwarte er, dass ihm gleich etwas daraus
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