Ich hab dich im Gefühl
hinter seinen kleinen Schreibtisch und blättert in einem Papierstapel. Dann holt er ein Klemmbrett hervor. »Von Harrods. Zhang Wei«, liest er vor. »Warum? Stimmt irgendwas nicht mit den Muffins?« Er fährt mit der Zunge über die Zähne und räuspert sich ausführlich.
Justin kneift die Augen zusammen. »Woher wussten Sie, dass da Muffins drin sind?«
Charlie weigert sich, ihm ins Gesicht zu sehen. »Musste ja überprüft werden, richtig? Wir sind hier in der National Gallery. Da kann man nicht einfach ein Päckchen annehmen, ohne zu wissen, was drin ist.«
Justin sieht Charlie an, der ein bisschen rot geworden ist. Auf einmal bemerkt er die Krümel in seinen Mundwinkeln, die Spuren auf seiner Uniform. Rasch hebt er das karierte Tuch von seinem Korb und zählt nach. Elf Muffins.
»Finden Sie es nicht seltsam, jemandem elf Muffins zu schicken?«
»Seltsam?« Augen wandern, Schultern zucken. »Weiß ich nicht, Mann. Ich hab noch nie im Leben jemandem Muffins geschickt.«
»Wäre ein Dutzend nicht naheliegender?«
Erneut zucken die Schultern. Nervös fummeln die Finger. Wesentlich konzentrierter als sonst beobachten seine Augen die Leute, die in die Galerie kommen. Die Körpersprache zeigt Justin, dass das Gespräch beendet ist.
Er tritt hinaus auf den Trafalgar Square und zieht das Handy heraus.
»Hallo?«
»Bea, hier ist Dad.«
»Ich rede nicht mit dir.«
»Warum?«
»Peter hat mir erzählt, was du gestern Abend beim Ballett alles zu ihm gesagt hast«, faucht sie ihn an.
»Was hab ich denn getan?«
»Du hast ihn den ganzen Abend gelöchert, was für Absichten er verfolgt.«
»Ich bin dein Vater, das ist mein Job.«
»Nein, was du getan hast, würde eher zur Gestapo passen«, wütet sie. »Ich schwöre dir, ich rede nicht mehr mit dir, bis du dich bei ihm entschuldigt hast.«
»Ich soll mich entschuldigen?«, lacht er. »Wofür denn? Ich hab ihm nur ein paar Fragen über seine Vergangenheit gestellt, um seine Hintergedanken zu überprüfen.«
»Er hat überhaupt keine Hintergedanken!«
»Dann hab ich ihm halt einfach so ein paar Fragen gestellt, na und? Bea, er ist nicht gut genug für dich.«
»Nein, er ist nicht gut genug für
dich
. Aber inzwischen ist mir sowieso egal, was du von ihm hältst, schließlich soll er ja mich glücklich machen, nicht dich.«
»Er pflückt Erdbeeren, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
»Er ist IT -Berater!«
»Wer pflückt dann die Erdbeeren?«
Irgendeiner muss doch die Erdbeeren pflücken.
»Na ja, Schätzchen, du weißt, was ich von solchen Beratern halte. Wenn sie schon so viel von einer Sache verstehen, warum erledigen sie sie dann nicht selbst, statt Geld damit zu machen, dass sie es anderen Leuten erklären?«
»Du bist Dozent, Kurator, Herausgeber,
was auch immer
. Wenn du so viel weißt, warum baust du dann nicht ein Haus oder malst mal selbst ein Bild?«, schreit sie ihn an. »Statt immer allen was davon vorzufaseln, wie viel du weißt!«
Hmm.
»Schätzchen, krieg dich mal wieder ein.«
»Nein, du bist derjenige, der sich einkriegen sollte. Du wirst dich bei Peter entschuldigen, und wenn nicht, gehe ich nicht mehr ans Telefon, wenn du anrufst, und du kannst allein mit deinen Dramen fertig werden.«
»Warte, warte, warte. Nur eine kleine Frage.«
»Dad, ich …«
»Hast du mir ein Körbchen mit Zimtmuffins geschickt?«, stößt er hastig hervor.
»Was? Nein!«
»Nein?«
»Keine Muffins, nein! Keine Gespräche, kein Nichts …«
»Herzchen, es besteht überhaupt keine Veranlassung für doppelte Verneinungen.«
»Ich breche den Kontakt zu dir ab, bis du dich entschuldigt hast«, verkündet sie entschlossen.
»Okay«, seufzt er. »Entschuldige bitte.«
»Nicht bei mir sollst du dich entschuldigen, sondern bei
Peter
!«
»Okay, aber heißt das, dass du meine Sachen morgen nicht auf dem Weg zu mir von der Reinigung abholen wirst? Du weißt, welche ich meine, gleich neben der U-Bahn-Station ...«
Es klickt in der Leitung. Justin starrt das Telefon verblüfft an.
Meine eigene Tochter hat einfach aufgelegt? Ich wusste doch, dass dieser Peter Ärger machen würde.
Aber dann fallen ihm wieder die Muffins ein, und er wählt erneut. Und räuspert sich.
»Hallo.«
»Jennifer, hier ist Justin.«
»Hallo, Justin.« Ihre Stimme klingt kalt.
Früher war sie warm, süß und weich wie Honig. Nein, wie heißer Karamell. Früher ist sie von Oktave zu Oktave gehüpft, wenn sie seinen Namen gehört hat, wie die Klaviermusik, zu der er
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