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Ich hab dich im Gefühl

Ich hab dich im Gefühl

Titel: Ich hab dich im Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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lachen«, gesteht er. »Passiert Ihnen das nie?«
    Justin weiß nicht recht, ob der Mann ihn auf den Arm nehmen will, aber auf seinem Gesicht ist nicht die leiseste Spur eines Lächelns zu erkennen. Beim Begräbnis seines Vaters war Justin neun Jahre alt, die Familie versammelte sich auf dem Friedhof, alle von Kopf bis Fuß in Schwarz, drängten sich wie Mistkäfer um das schmutzige Loch im Boden, in das der Sarg hinabgelassen werden sollte. Die Familie seines Vaters war aus Irland gekommen und hatte von dort den Regen mitgebracht, für den heißen Chicagoer Sommer eine Seltenheit. Er stand neben seiner Tante Emelda, die den Schirm in der einen Hand hielt und die andere fest um seine Schulter geschlungen hatte, sein kleiner Bruder teilte sich den Schirm mit seiner Mutter. Al hatte sein Feuerwehrauto dabei, mit dem er spielte, solange der Priester vom Leben ihres Vaters erzählte, worüber Justin sich ärgerte. Aber genau genommen ärgerte Justin sich an diesem Tag über alles und jeden.
    Er hasste Tante Emeldas Hand auf seiner Schulter, obwohl er wusste, dass sie es nur gut meinte. Sie fühlte sich schwer und beengend an, als würde sie ihn zurückhalten, als hätte seine Tante Angst, dass er davonlaufen würde, hinein in das große Loch, das für seinen Vater bestimmt war.
    Am Morgen hatte er sie begrüßt, in seinem besten Anzug, genau wie seine Mutter es von ihm mit ihrer neuen leisen Stimme verlangt hatte. Justin musste sein Ohr ganz nahe an ihren Mund bringen, um sie überhaupt verstehen zu können. Tante Emelda hatte wie immer, wenn sie sich nach längerer Zeit wieder begegneten, so getan, als hätte sie hellseherische Fähigkeiten.
    »Ich weiß genau, was du möchtest, kleiner Soldat«, sagte sie mit ihrem starken Corker Akzent, den Justin kaum verstand. Er wusste nie, ob sie angefangen hatte zu singen oder ob sie mit ihm redete. Jedenfalls wühlte sie in ihrer riesigen Handtasche und fischte schließlich einen Plastiksoldaten mit einem Plastiklächeln und einem Plastiksalut heraus, von dem sie schnell das Preisschild abpopelte und dabei den Namen des Soldaten mit abriss, bevor sie ihn Justin überreichte. Justin starrte auf Colonel Blank hinunter, der mit der einen Hand salutierte und in der anderen sein Plastikgewehr festhielt. Auf Anhieb hatte er dem Plastiktypen misstraut. Das Plastikgewehr ging in dem riesigen Berg schwarzer Mäntel neben der Eingangstür verloren, kaum dass er die Packung geöffnet hatte. Wie gewöhnlich waren Tante Emeldas übersinnliche Kräfte auf die Wünsche des falschen Neunjährigen eingestellt gewesen, denn Justin legte an diesem Tag nicht den geringsten Wert auf einen Plastiksoldaten, und er konnte nicht anders, als sich auszumalen, dass ein Junge auf der anderen Seite der Stadt sich inbrünstig zum Geburtstag genau so einen Plastiksoldaten wünschte, stattdessen aber Justins Vater an seinem pechschwarzen Haarschopf überreicht bekam. Doch er nahm das einfühlsame Geschenk mit einem Lächeln an, das ungefähr so breit und ehrlich war wie das von Colonel Blank. Als er später am Tag vor dem Loch im Boden stand, konnte Tante Emelda vielleicht tatsächlich einmal seine Gedanken lesen, denn sie umfasste ihn fester, und ihre Fingernägel bohrten sich in seine knochigen Schultern, als wollten sie ihm Sicherheit geben. Justin hatte tatsächlich daran gedacht, in das Loch zu springen.
    Er überlegte, wie es wohl war in dieser Welt dort unten. Wenn er der starken Hand seiner Tante aus Cork entfloh und in das Loch sprang, ehe ihn jemand aufhalten konnte, würde er, wenn die Erde sich wie mit einem Grasteppich über ihnen geschlossen hatte, wieder mit seinem Vater zusammen sein. Dann hätte er ihn ganz für sich alleine, ohne ihn mit Mum oder Al teilen zu müssen, und dort unten im Dunkeln konnten sie ungestört zusammen spielen und lachen. Vielleicht hatte Dad einfach das Licht nicht gemocht, vielleicht hatte er sich gewünscht, es würde weggehen, damit er nicht ständig die Augen zusammenkneifen musste, damit seine empfindliche helle Haut keine Sommersprossen und keinen Sonnenbrand mehr kriegte und anfing zu jucken – was unweigerlich passierte, sobald er der Sonne ausgesetzt war. Dad musste stets im Schatten sitzen, während Justin mit seiner Mom und Al draußen spielte, und während Mom jeden Tag brauner wurde, wurde er immer bleicher und ärgerlicher. Vielleicht wollte er ja nur dem Sommer entkommen, vielleicht brauchte er eine Erholung vom Jucken und vom grellen Licht.
    Als der

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