Ich hab dich im Gefühl
wirklich existiert und nicht nur ein zweidimensionales Gemälde ist. Der Ausdruck stammt aus dem Französischen –
tromper
bedeutet ›täuschen‹ und
l’œil
ist das Auge«, erklärt Justin seinen Zuhörern. »Täusche das Auge«, wiederholt er und blickt in die Runde.
Wo bist du?
Vierunddreißig
»Na, wie war’s?«, fragt Thomas, der Chauffeur, als Justin nach dem Vortrag auf den Rücksitz klettert.
»Ich hab Sie ganz hinten stehen sehen. Wie fanden Sie’s?«
»Na ja, ich kenne mich nicht aus mit Malerei, aber Ihnen fällt echt eine Menge ein zu einem Mädchen, das Briefe schreibt.«
Lächelnd greift Justin nach der nächsten Gratisflasche Wasser. Zwar hat er keinen Durst, aber das Wasser ist da, und er bekommt es umsonst.
»Haben Sie jemanden gesucht?«, erkundigt sich Thomas.
»Wie meinen Sie das?«
»Im Publikum. Mir ist aufgefallen, dass Sie sich ein paar Mal umgesehen haben. Nach einer Frau wahrscheinlich, oder?«
Wieder lächelt Justin, aber er schüttelt den Kopf. »Das weiß ich nicht. Aber wenn ich es Ihnen erzähle, halten Sie mich für verrückt.«
»Na, wie fandest du ihn?«, frage ich Kate, als wir über den Merrion Square wandern und sie mich über Justins Vortrag informiert.
»Was glaubst du wohl?«, antwortet sie mit einer Gegenfrage, während sie gemächlich hinter Sams Buggy herschlendert. »Ich finde es unwichtig, ob er gestern Carpaccio und Fenchel gegessen hat – er scheint jedenfalls ein sehr netter Mann zu sein. Ist doch egal, aus welchen Gründen du dich mit ihm verbunden oder zu ihm hingezogen fühlst. Du solltest mit dem ganzen Theater aufhören und ihn einfach ansprechen.«
Aber ich schüttle entschieden den Kopf. »Das kann ich nicht.«
»Warum nicht? Er schien interessiert zu sein, als er deinem Bus nachgelaufen ist und als er dich im Ballett gesehen hat. Was hat sich jetzt geändert?«
»Er möchte nichts mit mir zu tun haben.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es einfach.«
»Und woher? Und erzähl mir jetzt nicht, es ist wegen irgendwelchem Quatsch, den du in deinen Teeblättern gesehen hast.«
»Ich trinke jetzt Kaffee.«
»Du hasst Kaffee.«
»
Er
aber offensichtlich nicht.«
Kate bemüht sich, nicht negativ zu sein, sieht aber weg.
»Er ist zu sehr damit beschäftigt, die Frau zu suchen, der er das Leben gerettet hat, für mich interessiert er sich nicht mehr. Er hatte meine Kontaktdaten, Kate, aber er hat nicht angerufen. Kein einziges Mal. Er hat den Zettel sogar in den Müll geworfen, und frag mich jetzt bloß nicht, woher ich das weiß.«
»Wie ich dich kenne, hast du in der Tonne gelegen.«
Ich presse die Lippen aufeinander.
Seufzend fragt sie: »Wie lange willst du das noch durchziehen?«
»Nicht mehr lange«, antworte ich achselzuckend.
»Was ist mit der Arbeit? Und mit Conor?«
»Conor und ich, das ist endgültig vorbei. Es gibt nichts mehr zu sagen. Vier Jahre Trennung, dann sind wir geschieden. Und was die Arbeit angeht, habe ich dir doch erzählt, dass ich nächste Woche wieder anfange, mein Terminkalender ist schon voll. Und das Haus – Scheiße!« Ich ziehe den Ärmel hoch und spähe auf meine Armbanduhr. »Ich muss zurück. In einer Stunde muss ich unser Haus einem Interessenten zeigen.«
Ein schnelles Küsschen, und schon renne ich zum nächsten Bus, der in meine Richtung fährt.
*
»Okay, hier ist es.« Justin starrt aus dem Autofenster und zum zweiten Stock hinauf, in dem sich die Blutspendepraxis befindet.
»Sie wollen Blut spenden?«, fragt Thomas.
»Unter gar keinen Umständen, ich will nur jemanden besuchen. Dürfte nicht allzu lange dauern. Wenn Sie einen Streifenwagen kommen sehen, werfen Sie schon mal den Motor an.« Er grinst, aber nicht sehr überzeugend.
An der Rezeption fragt er nervös nach Sarah, und man schickt ihn ins Wartezimmer. Dort sitzen Männer und Frauen in Anzügen und Kostümen, offensichtlich in der Mittagspause, und lesen die ausliegenden Zeitschriften, während sie darauf warten, zum Blutspenden gerufen zu werden.
Vorsichtig wendet er sich an die Frau neben ihm, die eine Zeitschrift durchblättert, beugt sich über ihre Schulter und flüstert: »Sind Sie sicher, dass Sie das tun wollen?«
Die Frau fährt heftig zusammen, alle im Raum lassen Zeitung oder Zeitschrift sinken und starren Justin an. Der hüstelt verlegen, schaut schnell weg und tut so, als hätte er nichts gesagt. An den Wänden hängen Plakate, die zum Blutspenden auffordern, und andere, auf denen sich Menschen, die
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