Ich hab dich im Gefühl
trotzdem zu leben, Himmel nochmal.«
»Hast du auch jemanden meinen Namen rufen hören?«, frage ich Dad flüsternd, und meine Gedanken fahren in meinem Kopf Karussell.
»Oh, jetzt hört sie schon Stimmen«, brummt er. »Ich hab deinen Namen gesagt, und du hast mir einen Fünfer dafür gegeben, erinnerst du dich?« Er wedelt mit dem Geldschein vor meiner Nase herum und wendet seine Aufmerksamkeit dann wieder Olaf zu.
»Links von uns sehen Sie das Leinster House, das Gebäude, in dem jetzt das irische Nationalparlament untergebracht ist.«
Schnapp-schnapp, klick-klick, blitz-blitz, Erinnerung gespeichert.
»Das Leinster House war ursprünglich unter dem Namen Kildare House bekannt, da es auf Anweisung des Earl of Kildare gebaut wurde. Als er später Duke of Leinster wurde, benannte man es um. Teile des Gebäudes, das früher das Royal College of Surgeons war …«
»Science«, rufe ich laut, immer noch in meine eigenen Gedanken versunken.
»Wie bitte?« Olaf hält inne, und wieder wenden sich die Köpfe zu mir um.
»Ich hab nur gesagt, dass es das Royal College of Science war«, erkläre ich und werde rot.
»Ja, das habe ich doch gerade gesagt.«
»Nein, Sie haben ›surgeons‹ gesagt«, unterstützt mich die Amerikanerin, die vor uns sitzt.
»Oh!«, sagt Olaf nervös. »Entschuldigung, ich habe mich wohl versprochen. Teile des Gebäudes, das früher das … das Royal College of« – er sieht demonstrativ zu mir – »of
Science
war, dienen seit 1922 als Sitz der irischen Regierung …«
Ich blende seine Stimme aus.
»Ich hab dir doch von dem Mann erzählt, der das Rotunda Hospital entworfen hat?«, flüstere ich Dad zu.
»Ja, klar. Dick irgendwas.«
»Richard Cassells. Er hat auch das hier konzipiert. Angeblich hat es als Vorbild für das Weiße Haus in Washington gedient.«
»Ach wirklich?«, sagt Dad.
»Tatsächlich?«, fragt auch die Amerikanerin und dreht sich auf ihrem Sitz zu mir um. Sie spricht laut. Sehr laut. Zu laut. »Schatz, hast du das gehört? Diese Lady hier sagt, der Mann, der das Gebäude hier entworfen hat, hat auch das Weiße Haus entworfen.«
»Nein, ich habe eigentlich nicht …«
Plötzlich merke ich, dass der Tourführer aufgehört hat zu sprechen und mich so liebevoll anstarrt wie ein Wikinger-Drachenboot einen Katamaran. Alle Augen, Ohren und Hörner sind auf uns gerichtet.
»Na ja, ich habe gesagt,
angeblich
war es ein
Vorbild
für das Weiße Haus. Sicher ist das nicht«, sage ich leise, denn ich möchte mich da eigentlich nicht reinziehen lassen. »Aber James Hoban, der 1792 den Wettbewerb um den Entwurf des Weißen Hauses gewonnen hat, war Ire.«
Alle starren mich an.
»Er hat in Dublin Architektur studiert und kannte das Leinster House bestimmt ziemlich genau«, beende ich meinen Einschub rasch.
Die Leute um mich herum nehmen den Informationsschnipsel tuschelnd und mit vielen Ahas und Ach-wirklichs zur Kenntnis.
»Wir verstehen nichts!«, ruft jemand von oben.
»Steh auf, Gracie«, wispert Dad und schubst mich.
»Dad …« Ich wehre ihn ab.
»Hey, Olaf, geben Sie ihr das Mikro!«, ruft die Frau dem Tourleiter zu. Widerwillig reicht er es an mich weiter und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Äh, hallo«, beginne ich, klopfe mit dem Finger auf das Mikro und blase hinein.
»Du musst sagen: ›Test, Test, eins, zwei, drei‹, Gracie.«
»Äh, Test, Test, eins, zwei …«
»Wir hören Sie ganz gut«, blafft Olaf der Weiße.
»Na schön«, sage ich und wiederhole dann meine Kommentare. Die Leute oben im Bus nicken interessiert.
»Und das gehört alles zu den Regierungsgebäuden?«, will die Amerikanerin wissen und deutet auf die Häuser rechts und links.
Unsicher sehe ich Dad an, und er nickt mir ermutigend zu. »Tja, eigentlich nicht. Das Gebäude links ist die National Library und rechts haben wir das National Museum.« Ich will mich wieder hinsetzen, aber Dad schiebt mich gleich wieder hoch. Die Passagiere wollen mehr hören. Der Tourführer macht ein kleinlautes Gesicht.
»Na ja, es könnte ganz interessant sein, dass die National Library und das National Museum ursprünglich das Dublin Museum of Science and Art beherbergt haben, das 1890 eröffnet wurde. Beide wurden nach einem 1885 abgehaltenen Wettbewerb von Thomas Newenham Deane und seinem Sohn Thomas Manly Deane entworfen und von den Dubliner Bauunternehmern J. und W. Beckett gebaut, die bei ihrer Arbeit beste irische Handwerkskunst bewiesen haben. Das Museum ist eines der
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