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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Ex-Muslime im Januar 2007 beide für den Vorsitz zur Wahl. So wurde ich Vorsitzende und Arzu meine Stellvertreterin, gewählt von Menschen aus dem Iran, dem Irak und der Türkei. Wir planten eine Pressekonferenz am 28. Februar im Berliner Haus der Bundespressekonferenz, trafen aber zu Hintergrundgesprächen schon Ende Januar mit einzelnen Journalisten zusammen. Der Focus kam mit der Veröffentlichung des Artikels über unseren »Tabubruch« am 12. Februar 2007 der Pressekonferenz zuvor. In diesem Artikel wurde unser Schritt als nicht risikofrei geschildert. Ein führender islamischer Theologe wird aus dem Jahr 2006 im Text mit folgenden Worten zitiert: »Der Abfall vom Islam ist die größte Gefährdung der islamischen Gemeinschaft. Alle vier Rechtsschulen des Islam sind sich einig, dass der Abgefallene hingerichtet werden muss.«
    Der Focus -Artikel trat eine Lawine von Interviewwünschen mit Arzu Toker und mir los. Es war, als hätten die Journalisten landauf, landab zum ersten Mal realisiert, dass es so etwas wie Atheisten auch unter den Muslimen geben könne. Am 26. Februar erschien im Spiegel unser Kampagnenplakat »Wir haben abgeschworen« in einem Artikel vorab. Auch in der Optik hatten wir uns an das Vorbild »Wir haben abgetrieben«, dem Stern -Cover vom Juni 1971, gehalten. Wir standen mit Namen und Foto für unsere Überzeugung ein. Darüber hatten wir lange diskutiert, alle miteinander, die wir unser Gesicht als Ex-Muslime zeigten. Herr Schneider, der Leiter meiner Bodyguards, hatte gefragt, ob wir nicht wenigstens den Nachnamen abkürzen, also Mina A. und Arzu T. schreiben könnten. Aber wir hatten uns dagegen entschieden. Zum einen schien uns das nicht wirklich mehr Schutz zu bieten, falls uns jemand persönlich angreifen wollte – vor allem aber wäre ein solcher Versuch von Anonymität konträr zu unserer Botschaft gewesen: dem politischen Islam die Stirn zu bieten und uns die »Sünde des Abfalls«, unser Recht auf Religionsfreiheit, zu nehmen. Und der deutschen Öffentlichkeit zu zeigen, dass es andere Stimmen unter den Muslimen gab als die Islamverbände.
    Trotz der Vorabartikel war unsere Gründungspressekonferenz am 28. Februar 2007 im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin so überfüllt, dass wir zunächst in einen größeren Raum wechseln mussten. Das erste Mal in meinem Leben stand ich in einem Blitzlichtgewitter. Unser bewusst provokanter Schritt war aus der Erfahrung entstanden, dass unsere Stimmen, die der »ungläubigen Menschen aus Ländern, deren Religion mehrheitlich der Islam ist«, nicht gehört wurden. Jetzt aber waren wir, stellvertretend für die unzähligen »abgefallenen« Muslime, unübersehbar.
    Neben Arzu und mir saß Michael auf dem Podium, er begrüßte die anwesenden Medienvertreter und stellte uns beide vor. Die rund 100 anwesenden Journalisten hörten aufmerksam zu. Wir stellten die Ziele des Zentralrats vor. Ich hatte mich schwergetan, eine Rede vorzubereiten. Erst hatte ich einen Text in Persisch geschrieben und übersetzen lassen, in Deutsch erschien er mir jedoch zu pathetisch. Dann hatte ich Arzu um Rat gefragt, und sie hatte sich angeboten, einfach in den Computer zu tippen, was ich spontan sagen würde. So hatte ich in ihrem Arbeitszimmer vor einem imaginären Publikum gesprochen, und sie hatte in die Tasten gehauen. Später waren wir den Text gemeinsam durchgegangen. Auf dem Podium aber las ich ihn nicht ab, in einer freien Rede erzählte ich meine Geschichte: »Als ich 1990 als Flüchtling nach Europa kam, musste ich auf Asyl warten, bis ich einen EU-Pass bekam. Heute erlebe ich immer wieder, dass Freunde kein Asyl erhalten und in ihre Papiere ein ›abgelaufen‹ gestempelt wird, Ausreise, Abschiebung. Und ich sage heute zu den Islamverbänden und Islamisten in Deutschland: ›Ihr seid abgelaufen! Die Zeiten, in denen Ihr vorgeben konntet, für Millionen zu sprechen, sind vorbei. Wir erheben unsere säkulare Stimme für Integration. Und wir fordern die deutsche Öffentlichkeit auf, sich nicht mehr blenden zu lassen, sondern Toleranz nur dem zu gewähren, der und die die individuellen Menschenrechte anerkennt und Kinder zu freiem Denken erzieht.‹« In Interviews, und davon mussten Arzu und ich nach der Pressekonferenz Dutzende geben, führte ich das aus: »Ihr erkennt sie, die sich integrieren wollen: Sie sind aktiv für die Gleichberechtigung der Frauen, gewähren Mädchen Zugang zur gesamten Bildung und erlauben jungen Menschen, vor allem Frauen, ein

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