Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
Vom Netzwerk:
geforscht und entwickelt wird, müssen die Ölquellen mit westlicher Wissenschaft und Technik erschlossen und nutzbar gemacht werden. Die geistigen Schätze aus anderen Kulturen aber sind den Menschen fast gänzlich unbekannt. Die Durchdringung der Gesellschaft mit dem Religiösen mündet kulturell in eine Selbstblockade. Da diese nicht in Frage gestellt werden kann, da sie eine Folge der heiligen Worte und Gesetze Gottes ist, wird die Ursache im Außen gesucht: die USA, der Westen sind schuld. Karikaturisten im fernen Dänemark. Vom Glauben Abgefallene. In dasselbe Horn stoßen Islamverbände in Deutschland – wer Moscheenbauten und Islamunterricht, Kopftuch und Schächten in Frage stellt, ist »islamophob«.
    Vor diesem Hintergrund ist es leider sehr naiv, wie viele deutsche Politiker an die Reformierbarkeit des Islam glauben. Dies scheint mir weitestgehend ein Irrglauben zu sein. Eine Integration wäre dann erreicht, wenn alle Migranten fest auf dem Wertefundament der individuellen Menschenrechte stünden. Erst dann kann man über Religion diskutieren. Obwohl, was wäre dann noch zu diskutieren: Religion wäre dann eine Geschmacksfrage, man könnte einer Religion angehören, sie wechseln oder ablegen. Ganz individuell und geschützt durch das individuelle Menschenrecht auf Religionsfreiheit. Allerdings, das will ich noch einmal betonen, würde das auch von den christlichen Kirchen erfordern, auf einige der ihnen in Deutschland exklusiv verliehenen Privilegien zu verzichten. Konfessioneller Religionsunterricht, ihr Sonderstatus als Arbeitgeber und eine vom Staat eingezogene Kirchensteuer ständen ganz oben auf dieser Liste. Die christlichen Kirchen müssen sich fragen, ob sie auf diesen Privilegien beharren wollen – mit dem Risiko, dass mit der Etablierung eines Islam mit denselben Privilegien die Spaltung der Gesellschaft und die Abwendung großer Teile der Bevölkerung von den Grundrechten für den Einzelnen noch rapide gefördert wird. Ein Festhalten an ihren Privilegien stellt die Kirchen vor die Frage nach ihrer Mitverantwortung.

Meine Jugend im Iran
    Emanzipation braucht Bildung
    I ch habe die Gültigkeit der These, dass Emanzipation Bildung braucht, am eigenen Leib erfahren. Deshalb möchte ich an dieser Stelle etwas aus meiner Kindheit erzählen. Knapp ein Jahr nach der Hochzeit meiner Eltern wurde mein ältester Bruder, Amir, geboren. Zwei Jahre später kam mein Bruder Sohrab zur Welt, wieder zwei Jahre später meine Schwester Mariam, dann im gleichen Abstand ich. Nur bei meiner kleinen Schwester Mahtab hat es nach mir sechs Jahre gedauert. Noch vor ihrer Geburt ist mein Vater gestorben.
    Meiner Mutter stand als Witwe nur ein Achtel des Besitzes ihres verstorbenen Ehemanns zu, den Rest bekam sein Bruder, der nächste männliche Verwandte. Es ging nicht um einen großen Besitz, dennoch war es ungerecht. Sie beschwerte sich bei diesem Bruder, und es gab einen großen Familienrat. Erstaunlich war, dass überhaupt darüber debattiert und meine Mutter angehört wurde. Sie sagte, diese Erbregelung sei Unrecht, sie habe fünf Kinder und erhalte nur ein Achtel des Geldes ihres eigenen Mannes.
    Mein Vater war der Familienernährer gewesen, aber sie hatte in Haus und Hof ihren Teil der Arbeit genauso getan. Das waren sehr rebellische Worte, es war das einzige Mal, dass ich meine Mutter so sehr aufbegehren sah. Sie wurde gehört, aber sie hatte keine Chance. Vielmehr sollte meine Mutter davon überzeugt werden, dass es gut sei, wenn der Bruder meines Vaters sich nun auch um sie und ihre Kinder kümmern würde. Wir wohnten in seinem Haus und waren damit unter männlicher Obhut. Doch ich fand, dass meine Mutter recht hatte, wieso bekam sie nicht das Geld ihres Mannes? Die Lektion war mir klar: Als Frau muss man sich in sein Schicksal fügen. Ich wollte keine Frau werden, ich wollte mich nicht in mein Schicksal fügen, auch wenn ich keine genaue Vorstellung davon hatte, was das heißen könnte.
    Mein Onkel hatte elf Kinder, an Spielkameraden hat es mir zu Hause also nie gemangelt. Aber auch Hausarbeit gehörte zu meinem Alltag, so hatten wir zwar Strom, mussten aber unsere Kleidung und das Geschirr in einem kleinen Fluss am Straßenrand waschen. Erst als ich neun war, wurde eine öffentliche Wasserleitung in Abhar verlegt, danach gab es einen öffentlichen Wasserhahn neben der Schule, dort konnten wir Leitungswasser holen. Vorher hatten wir unser Wasser nachts aus dem am Dorfrand fließenden Fluss geholt. Tagsüber

Weitere Kostenlose Bücher