Ich habe abgeschworen
Spielraum für andere Lösungen in derartigen Fällen. In diesem Sinne bittet der ZMD die afghanische Justiz, von einer Bestrafung des zum Christentum übergetretenen Abdul Rahman abzusehen.«
Wie schon erwähnt, wurde ja eine Lösung innerhalb des islamischen Rechts gefunden, Abdul Rahman wegen »Geistesgestörtheit« nicht zum Tode verurteilt. Die Berufung des Zentralrats auf die Religionsfreiheit aber bleibt ein Lippenbekenntnis, denn das Apostasie-Verbot steht über ihr, da es göttliches Gesetz ist. Wer es bricht, verletzt Gottes Ordnung, die über der der Menschen steht. Apostasie ist Hochverrat gleichzusetzen, es ist ein Verbrechen an der Gemeinschaft der Gläubigen und gegen Gott und deshalb ohne jede Verjährung mit dem Tode zu bestrafen. Ein Gesetzesverständnis, welches auch Europa kennt – aus dem Mittelalter, der Zeit vor der Aufklärung mit dem Absolutheitsanspruch der christlichen Kirche.
Ich bin bis heute nicht mit einer Fatwa, einer von einem islamischen Rechtsgelehrten verhängten Mordaufforderung, belegt. Das erleichtert mich natürlich, denn ein Leben auf der Flucht, wie es die Autoren Salman Rushdie und Taslima Nasrin führen müssen, deren Tötung aufgrund einer Fatwa jedem gläubigen Moslem den direkten Weg ins Paradies verheißt, möchte ich nicht erleben. Auch der französische Philosoph Robert Redeker muss seit der Veröffentlichung eines islamkritischen Artikels in der Zeitschrift Figaro wegen Verhängung einer Fatwa versteckt leben. Ich habe die Angst gespürt, die Todesdrohungen auslösen, den erhöhten Puls, die Magenschmerzen, das Kopfdrücken, und vor allem die Sorge um meine Töchter und meinen Mann sowie meine Familie im Iran, nicht zu vergessen meine inzwischen rund 200 Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Zentralrat der Ex-Muslime. Die politischen Islamisten haben vermutlich gelernt, dass eine solche Fatwa meiner Stimme noch mehr Gewicht in den Medien bringen würde – sie versuchen es mit vereinzelten Drohungen direkt in mein Postfach und kollektivem Totschweigen. Letzteres ist auch die Strategie der Islamverbände in Deutschland, die die neue und laute Stimme der Ex-Muslime möglichst klein halten wollen.
Leben unter Polizeischutz
Am Morgen des 12. Februar 2007 ging ich morgens als Erstes zum Kiosk drei Straßen weiter und kaufte mir einen Focus . Sofort blätterte ich den Artikel auf Seite 40 auf: »Erstmals wollen sich in Deutschland Ex-Muslime öffentlich zu ihrer Abkehr vom Glauben bekennen.« Ich steckte schnell das Wechselgeld ein und wünschte dem Verkäufer einen guten Tag. Für ihn schien die Zeitschrift in meinen Händen nichts Besonderes zu sein, und mein Gesicht schien er auch nicht zu kennen, kam ich doch nur unregelmäßig vorbei, um eine Zeitung zu kaufen. Auf dem Heimweg blieb ich alle paar Schritte stehen und las wieder ein paar Sätze. Ich schaute mich um und sah die Leute auf der Straße an. Natürlich starrte mich niemand an, nicht die Kinder auf dem Schulweg, nicht die ältere Frau mit Kopftuch, nicht der junge Mann in Jeans und Turnschuhen. Doch war es ein seltsames Gefühl, nun, da es dermaßen exponiert in die Welt gebracht war: Ich habe abgeschworen. Mina Ahadi, Menschen- und Frauenrechtlerin. Ich hatte keine Kontrolle mehr darüber, wer davon erfuhr und wer wie reagieren würde. Das alles hatte ich gewusst und gewollt, aber nun war es greifbar geworden und löste ein konkretes Gefühl, ein Ziehen im Magen aus. Zu Hause zeigte ich meinem Mann den Artikel und griff dann zum Telefon, um Michael Schmidt-Salomon anzurufen: »Michael, guten Morgen! Was hältst du davon, von dem Artikel? Ich bin aufgeregt! Und wird das frühe Erscheinen der Wirkung unserer Pressekonferenz schaden?« Meine Stimme überschlug sich fast, ich war wirklich aufgeregt. Ich war schon oft in Zeitungen zitiert worden, hatte Interviews vor Fernsehkameras gegeben, aber das hier war anders. Michael antwortete: »Ich war erst besorgt wegen der frühen Veröffentlichung. Aber der Artikel ist gut und der Focus immerhin eines der großen deutschen Nachrichtenmagazine. Mein Telefon hat schon mindestens zwanzigmal geklingelt, vermutlich, da ich im Impressum der Homepage des Zentralrats der Ex-Muslime stehe. Alle Zeitungen und Sender wollen Interviews. Es muss uns nur gelingen, die Spannung bis zur Pressekonferenz hochzuhalten. Aber das schaffen wir schon!«
Bevor wir dazu kamen, über unsere weiteren Schritte im Umgang mit den Medien zu diskutieren, klingelte es an der Tür. Durch das
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