Ich habe abgeschworen
wuschen die Frauen dort die Wäsche, laut meiner Mutter war in der Nacht aber wieder sauberes Wasser nachgeflossen. Natürlich hatten wir auch kein Wasserklosett. Die nächtlichen Gänge auf die Latrine, eine tiefe Grube mit einem kleinen Loch in einer Ecke des Innenhofes, waren mir immer unheimlich. Auch stank es dort entsetzlich, die Leerung einmal im Jahr half dem Gestank in keiner Weise ab.
Unser großer Luxus war ein Radio. Meine Mutter hörte abends immer die Nachrichten, und wir Kinder setzten uns manchmal um sie herum und lauschten dem persischen Kinderprogramm, welches vor allem aus Liedern bestand, die ich heute noch alle singen kann. Zu Hause war meine Mutter vor ihrer Witwenschaft westlich angezogen, Kleid, Rock, offene Haare. Aber auf der Straße musste sie den Tschador tragen, in unserem kleinen Dorf ging es traditionell zu wie überall auf dem Land. Ich musste wie alle Mädchen ab dem 12. Lebensjahr außerhalb des Hauses einen Tschador tragen. Auch das Spielen mit anderen Kindern auf der Straße war ab diesem Zeitpunkt vorbei. Dorthin durfte ich wie die erwachsenen Frauen nur noch, wenn ich einen bestimmten Weg zu einem bestimmten Ziel, und das ohne Innehalten oder Umwege, verfolgte. Also zur Schule oder manchmal mit der ganzen Familie eine andere Tante besuchen. Frauen waren sehr auf die Welt des Hauses beschränkt.
Mein Onkel war geschäftlich viel unterwegs. Er war Verwalter bei einem Großgrundbesitzer. Eines Tages kam eine Frau mit einem sechsjährigen Jungen zu uns und sagte: »Dieses Kind ist von ihm.« Meine Tante war tief getroffen, aber es gab für sie keine Möglichkeit, etwas gegen die Situation zu tun, die mein Onkel nun schuf: Er mietete eine kleine Wohnung für seine zweite Frau, wo diese mit ihrem Sohn lebte. Den Sohn heiratete 15 Jahre später meine ältere Schwester Mariam. Die Ankunft der zweiten Frau war im Dorf ein kleiner Skandal, zwar waren Zweitehen durchaus gestattet, in der Praxis aber selten. Nach ein paar Wochen hatten sich die Gemüter allerdings beruhigt, und die zweite Frau meines Onkels wurde in der Dorfgemeinschaft akzeptiert. Ich fragte mich, weshalb Männer mehrere Frauen haben durften, Frauen aber nur einen Mann. Das schien mir ungerecht, aber ich wusste instinktiv, dass ich das besser keinen Erwachsenen fragen sollte. Ich habe als Jugendliche nur einmal eine persische Übersetzung des Koran gesehen, normalerweise gab es ihn nur auf Arabisch und er war damit unverständlich für mich. Aber heute kenne ich auch Sure 4, Vers 4: »Überlegt gut und nehmt nur eine, zwei, drei, höchstens vier Ehefrauen. Fürchtet ihr auch so noch, ungerecht zu sein, nehmt nur eine Frau oder lebt mit Sklavinnen (die unter euerer Hand, unter euerem Rechte stehen), die ihr erwarbt.«
Im schiitischen Islam, also auch im Iran, ist neben der Polygamie auch die Zeitehe erlaubt: Ein Mann heiratet eine Frau auf eine vorher festgelegte Zeit, diese beträgt zwischen einer Stunde und 99 Tagen. Danach muss sie 45 Tage warten, bis sie sich erneut verehelichen kann, wohl, um eine Schwangerschaft auszuschließen, oder, im Fall einer solchen, den Vater genau bestimmen zu können. Die Frau bekommt nach Ablauf der Ehe meist eine Entschädigung. Ob man diese Art der Ehe als eine Form der Prostitution betrachtet, mag man selbst entscheiden. Interessant erscheint mir eine Studie, die die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher in ihrem mit Ursula Spenger-Stegemann geschriebenen Buch Frauen und die Scharia erwähnt: Nach ihr sind Zeitehen besonders bei Mullahs beliebt, die üblicherweise vor Heiligenschreinen von bestimmten Frauen direkt darauf angesprochen werden.
Als Kind blieben mir solche Einsichten natürlich unerreichbar, doch die Ungerechtigkeit, die in der untergeordneten Stellung der (Ehe-)Frau lag, begriff ich gefühlsmäßig sehr gut.
Immerhin war der Schulbesuch für Mädchen etabliert. In unserem Dorf gab es eine Mädchen- und eine Jungenschule. Ich bin vom ersten Tag an gerne in die Schule gegangen, ich war neugierig, und Lernen hat mir Spaß gemacht. Schreiben war etwas Wunderbares, und es ermöglichte das Lesen. Englisch, welches wir ab der siebten Klasse hatten, ermöglichte mir weitere Lektüren. Aber auch Mathematik fand ich spannend, weil sie so logisch war.
Lernen machte mir nicht nur Spaß, ich war auch sehr gut darin: In der zweiten oder dritten Klasse gab mir meine Mathelehrerin die Aufgaben für die fünfte Klasse, da ich mich sonst gelangweilt hätte. Die Schule hatte
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