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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Tag um. Wir waren uns alle politisch verbunden und untereinander mehr oder weniger befreundet. Diese Wanderungen waren eine willkommene Abwechslung und eine Möglichkeit, auch als Frau den Körper in Bewegung zu bringen. Ich liebte die Wanderungen, die Natur, unsere Gespräche, die sowohl politisch waren als auch Privates, Familie und Freunde, betrafen.
    An diesem Frauenwandertag sahen wir auf einem Berg einen Schäfer, ein alter Mann mit einer Herde, er sah erschöpft aus. Wir dachten, er sei vielleicht hungrig und würde sich über eine Aufmerksamkeit freuen. Ich war dann die, die zu ihm hinging und ihm einige Trockenfrüchte anbot. Ich sagte auf Türkisch: »Bitte schön, für Sie.« Er guckte mich an, schwieg aber. Sein Gesicht war unbeweglich, auch griff er nicht nach den Früchten. Ich dachte in diesem Moment, dass er sehr hässlich sei. Er schaute an mir vorbei auf die anderen, sah, dass wir alle junge Frauen waren. Dann, ich konnte es erst gar nicht fassen, pfiff er nach seinem Hund: »Fass!« »Was?«, rief ich. »Was willst du?« Er formte mit seinem linken Ringfinger und seinem linken Daumen einen Kreis und stieß seinen rechten Ringfinger schnell hinein, hinaus, hinein, hinaus. Wir waren an diesem Tag zu zehnt und rannten nun schnell weg. Nur Susan hatte Pech, er erwischte sie mit einem großen Stock, den er aufgehoben hatte, und schlug sie nieder. In einiger Entfernung blieben wir anderen stehen und sahen, wie Susan verletzt am Boden lag und er sich schon an seiner Hose zu schaffen machte. Wir entschieden schnell, dass eine von uns weiter den Berg hinunterrennen und um Hilfe rufen würde. Wir anderen kehrten um. Da der Mann bei seinen Aktivitäten an seiner Hose den Stock niederlegen musste, schnappte ich mir diesen. Und da kam zum Glück schon unsere Kameradin, die nur wenige Biegungen weiter auf zwei Bergsteiger gestoßen war, mit diesen zu Hilfe. Es waren zwei Studenten, Kommilitonen, die wir kannten. Ich war froh, dass Hilfe da war, denn kaum sah der Schäfer die zwei Männer, sprang er auf, zog seine Hose zu und entschuldigte sich – bei den Männern. Susan war voller blauer Flecken und Prellungen von den harten Schlägen. Einer der Studenten fragte den Schäfer wütend, was er da mache. Dieser antwortete: »Entschuldigung, ich wusste nicht, dass diese Frauen mit dir unterwegs waren.« Unser vermeintlicher Begleiter übernahm sofort die Rolle des Führers und sagte: »Folgt mir!« Wir drehten mit ihm um und gingen den Berg gemeinsam hinab, den Schäfer hinter uns lassend. Susan stützte sich auf zwei von uns, sie hatte starke Schmerzen von den Stockschlägen und konnte nur in kleinen Schritten gehen. Unser Führer meinte, wir sollten besser nicht mehr alleine weiter; was heißen sollte, ohne Mann, denn immerhin waren wir zu zehnt und nicht eine allein. Wir überlegten, ob wir den Schäfer anzeigen sollten, ich war dafür, denn was er uns und natürlich vor allem Susan angetan hatte, war ein Verbrechen. Aber andere in unserer Wandergruppe wollten nichts mit der Polizei zu tun haben, denn diese war der imperialistische Feind, und schließlich müsse man auch den armen Mann verstehen, alt und hässlich und dann plötzlich allein mit zehn jungen Frauen! Dem Argument, dass die Polizei Teil des imperialistischen Regimes sei, konnte ich mich nicht entziehen, zumal mein Glaube, dass sie uns helfen und tätig werden würde, nicht wirklich groß war. So ließen wir die Sache auf sich beruhen. Wir Freundinnen, die diesen Tag zusammen erlebt hatten, wussten, dass auch die beiden Männer nicht darüber reden würden, das »große Gewissen und das kleine Gewissen«, wie wir sie nannten, nach ihrer sehr unterschiedlichen Körpergröße.
    Und selbst in den kurdischen Bergen, in der kleinen Gemeinschaft der Partisanen, gab es strenge Moralvorstellungen. Dies musste ich in meinen zehn Jahren dort, von 1980 bis 1990, erleben. Zudem war die soziale Kontrolle in unserer kleinen, rund 300 Menschen umfassenden Lagergemeinschaft hoch. Eines Tages hörte ich von Gerüchten, dass eine junge, unverheiratete Frau schwanger sei. Das war der richtige Stoff für Klatsch. Dabei war die moralische Verurteilung über ihren Fehltritt nicht zu übersehen. Sie schien zügellos, unehrenhaft, sie wurde geächtet. Ihr Name war Parvin, und sie war gerade 21 Jahre alt. Als ich eines Morgens in das gemeinsame Badehaus der Frauen ging, hörte ich dort einige über sie tuscheln. Dann betrat Parvin den Raum, und das Gespräch verstummte. Die

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