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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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ganzen Iran laufend im Einsatz sind, auf den Stadtplatz. Das sind LKWs, die auf der offenen Ladefläche einen Kran haben, an dem das Seil mit Galgenknoten hängt. Die junge Frau wurde Punkt sechs Uhr zu dem LKW geführt, mitten durch eine schaulustige Menschenmenge. Sie war gefesselt und weinte. Von ihrer Familie war niemand dort. Einige der Zuschauer machten ihre Fotohandys bereit, um ihre Anwesenheit und das Ereignis zu dokumentieren. Vor Angst drohten Atefah die Beine zu versagen, als ihr die Schlinge um den Hals gelegt wurde. Verzweifelt rief die Jugendliche: »Verzeiht mir, bitte, was immer ich falsch gemacht habe, verzeiht mir, Allah verzeih mir!« Dann gab der Leiter der Hinrichtung das Zeichen, und der Kranführer setzte sein Gerät in Bewegung. Die junge Frau verlor den Boden unter den Füßen, den Kopf in der Schlinge starb sie vor den Augen der Menge.
    Während Herr Fischer seine Reisen machte, und er ist nur einer von vielen Kuscheldiplomaten, versuchten wir vom »Komitee gegen Steinigung«, zusammen mit dem »Komitee gegen Todesstrafe«, die junge Atefah zu retten. Vergeblich. Wenn mir jemand vorwirft, ich sei unsachlich, dann sage ich: Ja, ich bin emotional. Mein Herz schlägt für den Kampf für Frauen wie Atefah, für ihre Freiheit. Denn ihre Geschichten zeigen das wahre Gesicht des Iran bis heute.
    Wider die sexuelle Selbstbestimmung der Frau
    Die sexuelle Belästigung von Frauen gehört zur Strategie, ihnen ihre sexuelle Selbstbestimmung zu verweigern. Ob mit oder ohne Kopftuch, ob unter der Diktatur des Schahs, durch religiöse Männer oder linke Partisanen, immer wieder musste ich sie selbst erleben oder wurde Zeugin der Belästigung anderer Frauen. Ich möchte davon berichten, weil es zeigt, wie universal sexuelle Belästigung von Frauen leider ist. Der politische Islam behauptet, unter seinem Regime gäbe es dieses Problem nicht. Das funktioniert nur, wenn man die Täter-Opfer-Beziehung verdreht: Wo die Frau den Mann verführt, ist dieser Opfer seiner Triebe.
    Nicht alle Männer betrachten Frauen als Objekte ihrer Begierde, die man nicht fragen muss, wenn man sie begaffen, begrabschen oder gar vergewaltigen will. Aber zu einer Kultur der Gleichberechtigung gehört, sich der Tatsache der sexuellen Belästigung bewusst zu werden, Verantwortung zuzuweisen und Frauen zu stärken. Meine Erlebnisse fanden im Iran statt. Aber der politische Islam leugnet auch in Deutschland, dass Frauen von seinen Anhängern sexuell belästigt und erniedrigt werden. Das ist ein Skandal, und deshalb müssen die Islamverbände Rede und Antwort stehen, warum zum Beispiel so viele muslimische Frauen in deutschen Frauenhäusern landen.
    In Tabriz, während meiner Studienzeit, lernte ich schnell etwas kennen, was die strenge soziale Kontrolle in meinem Heimatdorf verhindert hatte: sexuelle Belästigung. Auf der Straße und den Gehwegen der Stadt waren immer viele Menschen unterwegs, es herrschte ein ständiges Gedränge. Im Vorbeigehen hatte man auf einmal eine Hand am Busen, die kurz kräftig zudrückte, und bevor man genau sah, wer der Täter gewesen war, war er schon in der Menge verschwunden. In der Logik der Islamisten ist damit bestätigt, dass der Mann nicht anders kann, wenn er von einer Frau mehr sieht als einen Ausschnitt vom Gesicht und die Hände. Dass die Frau an sich eine Verführung ist und deshalb gezähmt, verhüllt und eingesperrt werden muss. Eine Logik, die die Männer davor bewahrt, einmal darüber nachzudenken, wie Frauen sich fühlen, wenn sie nur die Alternative haben, begrapscht oder verhüllt zu werden. Eine Logik, die Frauen zu »Reizträgerinnen« macht, vor der die Männer geschützt werden müssen. Eine Logik, die Allahs Wort folgt und damit unhinterfragbar ist, denn so steht es im Koran, Sure 24, Vers 32: »Sage auch den gläubigen Frauen, dass sie ihre Augen niederschlagen und sich vor Unkeuschem bewahren sollen und dass sie nicht ihre Zierde (ihren nackten Körper, ihre Reize), außer nur was notwendig sichtbar sein muss, entblößen und dass sie ihren Busen mit dem Schleier verhüllen sollen. Sie sollen ihre Reize nur vor ihren Ehemännern zeigen (…).« In Tabriz verführten wir unverschleierten Frauen manche Männer zu wirklich triebhaftem Verhalten. Einmal öffnete ein Mann seinen Mantel, und im Vorbeigehen sah ich, dass er mir seinen steifen Penis präsentierte. Fassungslos stolperte ich vorwärts, und als er schon in der Menge verschwunden war, spürte ich ein feuchtes, schleimiges

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