Ich habe abgeschworen
Gefühl auf meinem Arm. Mir wurde übel, als ich merkte, dass er auf meinen unverschleierten Arm ejakuliert hatte.
Alle zwei bis drei Monate unternahm ich die siebenstündige Busfahrt in mein Heimatdorf, um meine Mutter zu besuchen. Auch auf der Reise war eine Frau nicht vor sexuellen Übergriffen sicher. Meist nahm ich den Bus über Nacht, und einmal spürte ich einen Arm, der sich von hinten um meine Hüfte legte, und eine Hand, die zwischen meine Beine zu greifen versuchte. Ich sprang auf und funkelte den Mann hinter mir böse an. Dann ging ich nach vorne zum Fahrer und sagte ihm, dass ich belästigt worden sei. »Kein Problem«, sagte er, »setz dich neben mich.« So machte ich es mir auf dem Beifahrersitz bequem und döste ein. Plötzlich schreckte ich hoch, etwas hatte mich berührt. Schlagartig wurde mir klar, dass der Fahrer das Steuer nur noch mit links hielt und seine rechte Hand auf meinem Busen herumstrich. Ich zischte ihn an, aufzuhören, raffte ein weiteres Mal meine Sachen zusammen und fand einen freien Platz hinten im Bus, wo ich trotz meiner aufgewühlten Gefühle von Wut und Scham schließlich noch einmal einschlief.
Ein paar Monate später grapschte im Bus wieder ein Mann von der Bank hinter mir zwischen meine Beine und diesmal sprang ich auf und schrie, er solle das sein lassen. Viele Mitreisende fielen mit ein und beschimpften den Täter. Der Fahrer wurde abgelenkt, und der Bus geriet ins Schlingern. Er rutschte quer über die Autobahn und kam gerade noch vor der Böschung am Standstreifen zum Stehen. »Alle raus!«, brüllte der Busfahrer, und alle Fahrgäste verließen den Bus. »Was ist geschehen?«, wollte der Fahrer wissen, als wir uns am Straßenrand gesammelt hatten. Ich trat vor und sagte: »Der Mann dort«, mein Finger zeigte auf den Täter, »hat mich gestört.« Ein drastischeres Wort kam mir nicht über die Lippen. Der Fahrer schnaufte verärgert: »Oh diese Frauen!«, und befahl uns wieder einzusteigen und Ruhe zu geben. Die Mitreisenden, inzwischen eher empört über den unfreiwilligen Stopp, wirkten keineswegs mehr freundlich, und mir war der ganze Zwischenfall peinlich.
Aber auch einige linke Männer waren auf ihre Art frauenfeindlich. Zum Beispiel erinnere ich mich, dass eine Studentin, die immer stark geschminkt und sehr modisch gekleidet war, dafür regelrecht abgestraft wurde. Mitglieder der Fedayi lauerten ihr auf einem Gang auf, sprangen ihr in den Weg, riefen »Luder« und schütteten einen Eimer Farbe über ihre Kleidung, über ihre weiße Hose und ihr weißes, weit ausgeschnittenes Oberteil. Die Farbe war rot und die junge Frau zutiefst erschrocken. Sie hatte versucht, den Angriff mit ihren Händen abzuwehren. Nun sah sie auf ihre blutroten Hände und fragte verängstigt: »Wieso?« In dem Flur waren noch rund ein Dutzend andere Studenten zugegen, auch ich war zufällige Zeugin. Die meisten sahen weg, als die Farbe verschüttet war und die junge Frau hilflos dastand. Aber ich ging auf die Attentäter zu und fragte auch: »Wieso?« Einer der Männer meinte, dass die Frau unzüchtig angezogen sei. Ich war entsetzt, sah das Mädchen an, das angefangen hatte zu weinen und nun davonlief. Das sollte linke Politik sein? Ich sagte den Männern, dass sie reaktionär wären. Sie zuckten die Schultern und gingen ihrer Wege. Im Grunde hatten viele linke Männer noch wenig über die Stellung der Frauen nachgedacht und redeten sehr konservativ, wenn es um Frauen und die Maßstäbe für deren »moralisches Verhalten« ging. In dieser Frage musste das Bewusstsein der Männer in der linken Opposition erst von den Frauen geweckt werden, nach und nach gingen mehr Männer auch selbstkritisch damit um. Das ist etwas, was auch die linken Frauen in der Bundesrepublik Deutschland vor allem in den 70er-Jahren erfahren mussten.
Bei allen Demonstrationen und Protesten gegen den Schah, gegen sein pompöses Leben im Angesicht der Armut weiter Teile der Bevölkerung (die Empörung über die bombastische 2500-Jahr-Feier 1971 war noch sehr wach) und gegen den Imperialismus – der Blick auf das eigene Frauenbild war bei vielen politisch engagierten Männern recht beschränkt.
Unsere Wandergruppe zog jeden Samstag los, Studentinnen und Studenten aus verschiedenen linken illegalen Gruppen und Sympathisantinnen. Eines Tages waren wir zehn Frauen und kein Mann – so zogen wir los. Wir standen früh auf, vor sechs Uhr, zogen uns festes Schuhwerk an und schnallten uns Rucksäcke mit Wegzehrung für den
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