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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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wichtig, dass die Kinder in einer liberalen Umgebung aufwachsen, in der Familie wie in der Gesellschaft. Anita ist jetzt 17 und brachte mit 14 ihren ersten Freund nach Hause. Ich bin froh, dass für meine Töchter ein Leben möglich ist, wie es für mich undenkbar war. Aber ich sage ihnen nicht, dass sie dafür dankbar sein sollen – ich möchte, dass sie Freiheit und Selbstbestimmung als Werte erleben, die jedem Menschen zustehen, und hoffe, dass sie so ein Gefühl für Unrecht entwickeln und den Mut haben, dagegen anzugehen, wenn ihnen welches begegnet.

Erst wenn die letzte Frau frei ist, sind die Menschen frei
    Todesurteil: Verbrechen Notwehr
    I ch konnte erst in die kurdischen Berge und später nach Europa flüchten. Im Iran hätte ich nicht überlebt. Dort leben heute rund 70 Millionen Menschen. Viele arrangieren sich im Alltag mit der islamischen Republik, auch meine Familie. Es gibt Freiräume und Nischen, die die Menschen sich schaffen, um so gut wie möglich durchzukommen. Doch nicht allen gelingt das. Manche geraten in die staatliche Todesmaschinerie, viele, weil sie »schuldig« sind der Homosexualität, des Ehebruchs. Oder sich gegen eine Vergewaltigung gewehrt haben: Im April 2006 rief mich Nazanin Afshin-Jam an. Ich hatte ihren Namen vorher noch nie gehört, sie stellte sich als Menschenrechtsaktivistin vor. Sie sagte, sie lebe in Vancouver und wolle etwas für ihre Namensschwester im Iran, Nazanin Fatehi, tun.
    Nazanin Fatehi, dieser Name war mir nur zu bekannt. Leider. Denn sie wurde am 3. Januar 2006 im Iran zum Tode durch Hängen verurteilt. Es geschah im März 2005, als die damals 17-jährige Nazanin Fatehi zusammen mit ihrer 15-jährigen Nichte Sumayeh in Teheran einen Park durchquerte: Plötzlich tauchten drei Männer auf, warfen die Mädchen zu Boden und versuchten, sie zu vergewaltigen. Nazanin zog ein Messer aus der Tasche und stach einen Angreifer in die Brust. Sie und ihre Nichte konnten fliehen. Der Angreifer starb. Augenzeugen hatten den Tathergang mitverfolgt. Es kam zu einem Gerichtsverfahren. Am 3. Januar 2006 wurde Nazanin Fatehi dann zum Tode verurteilt, obwohl der Iran die internationale Konvention unterzeichnet hat, die die Hinrichtung von zur Tatzeit Minderjährigen verbietet.
    Nazanin ist die Älteste von fünf Geschwistern, die Familie lebte in einem Raum zusammen. Der Vater war Dialysepatient und seit über sieben Jahren arbeitsunfähig. Die Mutter hielt die Familie mit Putzarbeiten über Wasser, Nazanin musste von der Schule abgehen und den Haushalt übernehmen.
    Ich hatte von Nazanin Fatehi kurz nach ihrem Todesurteil gehört – ein Bekannter aus dem Iran rief mich an. Sofort nahm ich Kontakt zu ihrer Anwältin und zu ihrer Familie auf. Meine Verbindungen in den Iran sind in den letzten Jahren ständig gewachsen, denn mein Name ist seit dem Beginn meines Engagements gegen Steinigungen und Hinrichtungen unter den Anwälten und Menschenrechtlern im Land immer bekannter geworden. Im Zeitalter moderner – westlicher – Technologien wie Telefon und Internet kann ich diese Kontakte, wenn auch mit Schwierigkeiten und viel Vorsicht, pflegen. Für Mai 2006 war die Hinrichtung von Nazanin Fatehi angesetzt. Kurz davor kam der Anruf aus Kanada von Nazanin Afshin-Jam. Die Zusammenarbeit mit ihr, der Miss Kanada und Vize-Miss World 2003, die aber auch ein Studium in Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen in Kanada, Paris und England absolviert hatte und 2007 ihre erste CD als Sängerin herausbrachte, war für mich etwas Besonderes. Ihre direkte, freundliche und bestimmte Art, gepaart mit ihren Verbindungen als Miss Kanada und nicht zuletzt ihrer Intelligenz, hat uns Türen bis in die Vereinten Nationen geöffnet. Nazanin Afshin-Jam spricht fließend Persisch, Englisch und Französisch. Wir können uns also in Persisch, Farsi, unterhalten. Und unterhalten haben wir uns seit diesem ersten Telefonat viel – und mehr: Wir starteten eine weltweite Kampagne, kanadische und EU-Politiker setzen sich für Nazanin Fatehi ein, am 8. Juni 2006 überreichten wir eine Petition mit 170 000 Unterschriften bei den Vereinten Nationen in New York. Bis Anfang 2007 waren es rund 350 000 Unterschriften geworden.
    Doch zuvor bangten wir während vieler Monate um das Leben von Nazanin. Als die Mutter von Nazanin einmal versuchte, mit der Familie des Opfers Kontakt aufzunehmen, verweigerte dessen Mutter ihr eine Zusammenkunft. Auch eine Beilegung des Falls gegen die Zahlung von Blutgeld lehnte

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