Ich habe abgeschworen
dabei, ich habe meine Neffen und Nichten, die Kinder meiner Geschwister, zum großen Teil bis heute nicht gesehen, nur wenige als Säuglinge. Mahtab hatte große Probleme gehabt, einen Studienplatz in Medizin zu finden, da sie eben meine Schwester war. Sie musste mehrere Formulare unterschreiben, in denen sie sich von mir distanzierte, um weiterstudieren zu dürfen. Meine ältere Schwester Mariam war auch Mutter und arbeitete als Lehrerin. Ihre Tochter und ihren Sohn habe ich nur als Babys gesehen, sie sind inzwischen beide verheiratet. Meine Mutter erzählte auch, wie sie immer wieder für mich gebetet hatte und Almosen gab, wenn sie eine Nachricht bekam, dass ich lebte. Groß war ihr Bedürfnis, mir von sogenannten Ehrenmorden zu erzählen, die sie in ihrer Umgebung mitbekommen hatte, wo die Männer einer Familie ihre Frau oder Schwester umbrachten, weil diese – angeblich – einen unkeuschen Kontakt zu einem fremden Mann gehabt hatten. Sie erzählte von einer verpfuschten Abtreibung, die einem unverheirateten Mädchen in unserer Nachbarschaft fast das Leben gekostet hätte. Nun war allgemein bekannt, dass sie keine Jungfrau mehr war, und ihr Leben war deshalb auch nicht mehr sicher. Ich war so froh um unsere Gespräche und unsere Nähe und freute mich schon auf regelmäßige Besuche meiner Mutter. Als sie schließlich zurück in den Iran flog, sagte ich: »Auf Wiedersehen bis in einem Jahr!«
Eine Woche nach ihrer Abreise rief ich meine große Schwester an. Ich meldete mich und sagte auf Persisch Hallo – und sie legte schweigend auf. Ich wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war, und war höchst beunruhigt. Einen Monat lang hörten wir nichts von meiner Familie, wir trauten uns nicht, selbst anzurufen, um niemanden zu gefährden. Es war ein schreckliches Warten, dann rief meine Mutter an. Sie sagte: »Kind, sie haben mich festgenommen, zwei Wochen lang, haben mich geschlagen, und ich war so schwer verletzt, dass ich in ein Krankenhaus musste. Ich hatte Angst zu sterben von diesen Schlägen, ich bekam keine Luft mehr. Und ich gab deine Telefonnummer und deine Adresse preis, wie sie es von mir wollten.« Sie entschuldigte sich dafür, dass sie es nicht geschafft habe, meinen Aufenthaltsort geheim zu halten, und ich beruhigte sie, dass unter Folter zu »gestehen« oder zu »verraten« nichts, aber auch gar nichts Schlimmes sei, und dass allein ihre Peiniger Schuld auf sich geladen hätten. Sie erzählte weiter, dass diese ihr Fotokopien meiner Briefe, die ich in den Iran geschickt hatte, und ein aktuelles Foto von mir gezeigt hatten. Ich dankte ihr sehr für die Warnung. Dass das iranische Regime Oppositionelle nicht nur im eigenen Land hinrichten ließ, war im Westen spätestens seit dem schon erwähnten Anschlag vom 21. September 1992 in der Berliner Diskothek Mykonos bekannt. Dass meine Mutter verhaftet und misshandelt worden war, zeigte mir, was ich eigentlich schon vorher wusste: Ich stand auf einer Liste des Auslandgeheimdienstes des Iran, wie alle Mitglieder der Komalah und der Arbeiterkommunistischen Partei. Und obwohl ich meiner Mutter gerade gesagt hatte, sie solle sich nicht schuldig fühlen, fiel es mir nicht leicht, mir nicht die Verantwortung für ihr Leid zu geben. Wäre ich nicht politisch aktiv, wäre sie nie verhaftet worden. Natürlich stimmte, was ich gesagt hatte – nur die Verfolger und Peiniger meiner Mutter hatten etwas Verwerfliches getan – dennoch war es schwer, die Schuldgefühle abzustreifen. Ich hatte Angst um meine kleine Tochter, um meinen Mann und auch um mich.
Also suchte ich wieder Ämter auf, und wir haben eine neue Wohnung und eine geheime Telefonnummer bekommen. Den Kontakt in den Iran brachen wir ganz ab. Mit meiner großen Schwester habe ich bis heute nicht mehr gesprochen, sie hat Angst vor der Polizei und um ihre Familie. Ich kann sie verstehen. Mit meiner Mutter telefoniere ich wieder regelmäßig, aber sie haben ihr den Reisepass abgenommen, und sie darf den Iran nicht mehr verlassen.
1995 war ich mit Rosa Logar und Gundi Dick, der Vorsitzenden der Frauensolidarität Wien, auf der Weltfrauenkonferenz in Peking.
Ich habe mich dort an vielen Diskussionen beteiligt und Reden gehalten und sogar die Möglichkeit gehabt, an der Sitzung der Regierungsmitglieder teilzunehmen, als eine der dazu eingeladenen Vertreterinnen der NGOs.
Ich war wieder schwanger, und leider wurde ich durch die schlechte Luft in Peking krank und musste schon nach acht statt nach zwölf
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