Ich habe abgeschworen
die Familie des Toten zu diesem Zeitpunkt ab, wohl auch wissend, dass die Familie von Nazanin arm ist. Die Familie des Opfers kann nach den Gesetzen der Scharia die Täterin (den Täter) gegen Zahlung eines Blutgeldes begnadigen. Später erklärte ein Bruder des Opfers in einem Telefonat mit mir, dass er persönlich gegen die Todesstrafe sei. Er fragte mich empört, ob denn die Menschen im Iran noch im Mittelalter lebten. Aber er wollte nicht, dass ich seinen Namen nannte, da er mit dieser Meinung in der eigenen Familie ein Außenseiter war.
Nazanins Telefonate mit ihrer Mutter aus dem Gefängnis waren verzweifelt, und an Nazanin in Kanada und mich schrieb sie: »An alle, die meinen Namen gehört haben oder die an meinem Schicksal Anteil nehmen: Ich brauche Eure Hilfe. Ich bin einsam und ich habe Angst. Ich hatte keine gute Kindheit und Jugend. Ich bin sehr nervös und mit dieser Situation umzugehen ist sehr schwer. Ich möchte eines Tages hier raus, ich vermisse das Leben draußen. An alle, die helfen, mein Leben zu retten: Ich danke Euch. Eure Arbeit bringt einen Schimmer der Hoffnung in unsere Herzen. Hinter diesen Mauern bekommen wir etwas Hoffnung.
Meine Botschaft an die Welt ist: Auch außerhalb der Mauern, in denen ich hier bin, ist ein Gefängnis: Iran. Es geht nicht nur um die ›unglückliche Nazanin‹, die im Gefängnis ist. Es sind viele Mütter, die ihre Kinder vermissen und traurig sind: Helft nicht nur mir, sondern allen ›Nazanins‹, und helft uns, hier zu einem normalen Leben zurückkehren zu können!«
Dann bekam ich am 15. Mai 2006 einen Anruf der Anwälte im Iran: Die Hinrichtung sei für den nächsten Tag angesetzt. Schweren Herzens wählte ich die Nummer von Nazanin in Kanada. Diese brach am anderen Ende der Leitung völlig zusammen und weinte all ihren Schmerz heraus. Ich konnte nicht anders, ich musste mitweinen. Wir versuchten, uns gegenseitig zu trösten, dachten an Nazanin und versuchten, die Hoffnung nicht aufzugeben. In letzter Minute wurde die Hinrichtung tatsächlich ausgesetzt. Ich dachte nur: Wenn das mir schon so an die Substanz geht, wie muss es dann Nazanin im Gefängnis gehen, den Tod vor Augen!
Schließlich war es auch der von uns initiierte internationale Druck, der für sie die Wende brachte: Am 14. Januar 2007 wurde das Todesurteil gegen Nazanin Fatehi vom Teheraner Berufungsgericht aufgehoben. Die Richter erkannten auf Notwehr gegen einen Angreifer, der sie vergewaltigen wollte. Der Freispruch war ein großartiger Erfolg, eine Freilassung aber machten die Richter von der Zahlung einer Entschädigung für die Justizbehörden abhängig: 400 Millionen Rials, rund 43 000 US-Dollar. Innerhalb weniger Tage kamen 32 000 US-Dollar über Online-Spenden zusammen, 1000 Dollar haben wir im Iran gesammelt, und die noch fehlenden 10 000 Dollar spendete die kanadische Parlamentsabgeordnete Belinda Stronach. Das Geld wurde an die Justizbehörden im Iran überwiesen, und am 31. Januar 2007 öffneten sich die Tore des Gefängnisses für Nazanin Fatehi.
Ich bin nicht zuletzt wegen dieses Erfolges davon überzeugt, dass es hilft, Unrecht zu benennen. Aber es darf nicht bei einem Engagement für Einzelne bleiben, sondern wir müssen erreichen, dass die Gesetze geändert werden, damit es erst gar nicht mehr zu solchen Urteilen kommt.
Das ist mein Antrieb. Denn nicht alle Geschichten gehen so glimpflich aus, und so werden Frauen im Iran und anderen Staaten mit islamischem Recht immer wieder hingerichtet für ihre Sexualität, für ihr Frausein, für ihr Anderssein, bis die Scharia abgeschafft ist und Gesetze, die die Menschenwürde achten, gelten.
Steinigung: Verbrechen Ehebruch
Mein Kampf gegen die Steinigung ist der Ausgangspunkt und Kern meines politischen Engagements heute. Ich habe das Komitee gegen Steinigung auch gegründet, weil ich merkte, wie wenig die Menschen in Europa darüber wissen, und jede Steinigung, von der sie erfahren, für entsetzlich befinden, darin aber eine Ausnahme, einen schrecklichen Einzelfall sehen. Dem aber muss ich widersprechen.
Schnell fällt uns bei dieser Strafe das Wort »mittelalterlich« ein. Doch auch in der Gegenwart wird diese Strafe verhängt. Im Namen Allahs. In Nigeria, Iran und anderen Staaten. Wegen Ehebruchs und unehelichem Sex, wegen Homosexualität und Blasphemie, wegen Analverkehr und Apostasie. Einzelne Fälle haben Menschen weltweit empört, so das Schicksal von Amina Lawal, die am 22. März 2002 durch das Scharia-Gericht in Bakori im
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