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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Österreicher weiß, wie in diesem Land mit Flüchtlingen umgegangen wird.«
    Ich wurde vom Fernsehen interviewt, und damit haben meine öffentlichen Auftritte im Westen angefangen. Nach dieser Konferenz konnte ich in einer Flüchtlingshilfsorganisation mitarbeiten und habe meine erste Kampagne gegen Steinigungen organisiert, Mitte der 90er-Jahre.
    Unser Vermieter hatte uns 1993 die Wohnung gekündigt, so saßen wir ohne Dach über dem Kopf mit einem kleinen Kind in Wien. Für ein paar Tage schlüpften wir bei einer uns bekannten iranischen Familie unter, aber es war zu eng in deren kleinem Apartment, und so mussten wir weiterziehen in ein Obdachlosenheim. Dort teilten sich zwei Familien mit acht Kindern ein Zimmer. Dahinter lag noch eine Art Besenkammer, die haben wir bezogen. Sieben Monate lebten wir in diesem Verschlag. Anita brachten wir morgens in den Kindergarten und gingen dann zu einem Deutschkurs. Deutsch zu lernen war mir wichtig, um mich in meiner neuen Umgebung, meiner zweiten Heimat, verständigen zu können. Mir ist völlig unverständlich, wie man in einem Land leben kann, ohne Interesse zu haben, dessen Sprache zu erlernen. Bis heute ist meine deutsche Grammatik fehlerhaft, aber ich kann mich gut verständlich machen – und alles verstehen. Darum geht es doch: Verständigung.
    Mit einem Kind im Obdachlosenheim zu wohnen, war mir nicht recht. Es wurde viel gestohlen, und einmal stand ich unter der Gemeinschaftsdusche der Frauen, als drei Männer mit einem Messer den Raum betraten. Sie sprachen schon davon, mich zu vergewaltigen. Als noch eine andere Frau in den Raum kam, suchten sie zum Glück das Weite. Das schien mir keine gute Umgebung für kleine Kinder zu sein.
    Deshalb bin ich immer wieder zu den verschiedenen Behörden gegangen, Ausländeramt, Wohnungsamt, und schließlich haben wir eine Wohnung bekommen. Auch, weil ich nicht locker gelassen habe und weil ich dort selbstbewusst, gebildet und mir meiner Rechte bewusst aufgetreten bin. Wenn ich dazu nicht in der Lage gewesen wäre, hätten wir vermutlich weit länger in diesem Heim gelebt. So bekamen wir eine staatliche Wohnung, die nur eine geringe Miete kostete, und sei es nur deshalb, dass irgendeinem Sachbearbeiter mein ständiges Nachfragen lästig war.
    Meine Mutter besuchte uns 1994 für ein halbes Jahr in Wien. Ich hatte sie eingeladen, und es war wunderbar, sie wiederzusehen nach all der langen Zeit. Als ich sie mit einer Bekannten am Flughafen abholte, war sie erst beleidigt, dass ich ohne Mohammad und Anita gekommen war. Im Iran gilt es als unhöflich, wenn nicht die ganze Familie zugegen ist, um einen Besucher zu empfangen. Ich versuchte sie zu beruhigen, Anita kränkelte, und wir wollten auch unser aller Sicherheit nicht aufs Spiel setzen, der iranische Auslandsgeheimdienst war eine ständige Bedrohung für Exiliraner aus der linken Opposition, es kam immer wieder zu seltsamen Todesfällen, bei denen offensichtlich nachgeholfen worden war. Im ersten Moment war ich erschrocken, als ich sie sah, sie war so alt geworden! Bei uns zu Hause beruhigte sich meine Mutter dann schnell, als sie endlich ihre Enkelin umarmen konnte. Ich fühlte mich glücklich und ruhig in meiner Familie, die Jahre in den Bergen, die Flucht und der schwere Anfang als Flüchtling in Europa lagen endlich hinter mir, und ich durfte eine Privatperson sein, eine Frau und Mutter. Während meine Mutter in Wien war, machte ich eine Umschulung zur Altenpflegerin. Auch Mohammad hat eine Weiterbildung zum Schweißer gemacht. Ich schloss den Kurs mit sehr gut ab und hatte endlich ein Zertifikat. Mein Medizinstudium hatte ich zwar in Tabriz schon weitgehend abgeschlossen, aber keine offizielle Prüfung abgelegt, sodass meine Ausbildung jetzt nicht anerkannt wurde. Einen Tag nach Ende meines Kurses begann ich, in einem Altersheim zu arbeiten. Auch Mohammad fand schnell Arbeit als Schweißer, so mussten wir nicht von Sozialhilfe leben. Oft habe ich Nachtschicht gearbeitet, weil Anita klein war und ich sie dann morgens zum Kindergarten bringen konnte. Dann habe ich drei Stunden geschlafen und sie wieder abgeholt. Mein Mann kam nach Hause, wenn ich wieder arbeiten ging.
    Der Besuch meiner Mutter brachte uns beide wieder näher, wir sprachen viel über früher, das Leben in Abhar, und was wir beide in den langen Jahren der Trennung erlebt hatten. Sie erzählte von dem Leben in Abhar. Meine kleine Schwester Mahtab war inzwischen verheiratet und hatte zwei Kinder. Sie hatte Fotos

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