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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Tagen, wie ursprünglich geplant, zurück nach Wien fliegen. Im Herbst reiste Mohammad in den irakischen Teil von Kurdistan, wo er Freunde und Familienmitglieder traf. Auf der Rückreise nach Wien wurde er in der Türkei festgenommen. Er war für einen türkischen Kurden gehalten worden, den man dem bewaffneten Widerstand zuordnete. Man glaubte ihm nicht, dass es eine Verwechslung sei. Er konnte mich aber anrufen und sagte, ihm drohe eine Abschiebung in den Iran. Das alles passte nicht zusammen, ich nahm Kontakt mit Amnesty International auf. Silvia Hourdosch, engagierte Menschenrechtlerin in der Organisation, half mir durch diese Nacht, bis das Fax von Amnesty International am nächsten Morgen kam, welches bestätigte, dass Mohammad wieder freigelassen worden war.
    Am 19. Januar 1996 wurde Mona in Wien geboren, meine zweite Tochter. Diese Geburt war für mich etwas ganz Besonderes, denn es war eine natürliche Geburt, und ich konnte sie wach miterleben. Es war eine lange Phase mit Wehen, über 20 Stunden, bis dieser kleine Wurm mittags um halb zwei aus mir herauskam. Ich war überglücklich, dieses Erlebnis ist ein ganz besonderes Geschenk meiner kleinen Tochter an mich! Als sie sieben Monate alt war, zogen wir nach Köln. Da wir inzwischen alle vier österreichische Pässe hatten und damit EU-Bürger waren, bedeutete dieser Umzug kaum bürokratischen Aufwand. Mohammad und ich hatten fünf Jahre in Österreich legal angemeldet gelebt und gearbeitet, danach waren wir eingebürgert worden. Nach einer Wartezeit von sieben Monaten, die die iranischen Behörden brauchten, um unsere Geburtsurkunden an die österreichische Botschaft in Teheran zu schicken, bekamen wir unsere neuen Dokumente, die das Leben im Umgang mit den Behörden so viel einfacher machten.
    Für einen Ortswechsel sprach, dass wir in Wien immer noch nicht sicher waren, ob wir nicht vom Geheimdienst entdeckt würden. Für Köln sprach, dass einige Familien in Nordrhein-Westfalen wohnten, die wir noch aus dem Iran und aus Kurdistan kannten. So konnten wir ein bisschen an unsere Wurzeln anknüpfen. Ich dachte auch an meine Töchter, die nicht wie ihre Altersgenossen ihre Familie kennen würden. Keine Oma und kein Opa, keine Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins. Meine Älteste hat mich oft gefragt, warum wir kein Hochzeitsfoto haben. Aber im Lager gab es so etwas nicht. Und nun gab es zumindest noch andere Menschen in der Umgebung, die ihr etwas über das Leben im Iran und in Kurdistan erzählen konnten, wenn sie einmal Fragen stellen wollte.
    Es ist auch schwer für meine Kinder, sich vorzustellen, dass ich schon einmal verheiratet war mit einem Mann, der hingerichtet wurde. Ich hoffte, das würde für sie leichter, wenn noch mehr Menschen um sie herum sein würden, die ebenfalls geliebte Menschen durch die Verfolgungen und Hinrichtungen in der Zeit nach der Revolution verloren hatten.
    In Köln fanden wir sofort eine kleine Wohnung, und am nächsten Tag bekamen wir auf dem Ausländeramt unsere Aufenthaltsgenehmigungen. Wir waren nun Ausländer erster Klasse, EU-Bürger, zumindest auf dem Papier, auch wenn viele das wegen unseres anderen Aussehens und meines starken Akzents erst einmal nicht vermuteten.
    Als Mona neun Monate alt war, entschieden wir, dass ich weiter arbeiten gehen und Mohammad zu Hause die Kinder betreuen würde. Als Schweißer hatte er es schwerer, eine Arbeit zu finden, Altenpflegerinnen wurden immer gesucht, innerhalb von drei Wochen hatte ich eine Stelle in Köln gefunden. Die Wochen dazwischen haben wir von unserem knappen Ersparten gelebt. Wir wollten nicht zum Sozialamt gehen, und dass wir zum Beispiel für Kinderbetreuung hätten Geld bekommen können, wussten wir nicht. Keiner hatte uns darauf hingewiesen.
    Nachdem ich drei Jahre in diesem Altenheim gearbeitet hatte, hatten wir etwas Geld zusammengespart, und Mohammad konnte einen Kiosk kaufen. Dort haben wir dann beide gearbeitet, und unser Leben in Deutschland stabilisierte sich. Die Mädchen gingen zur Schule, sie sprechen Deutsch und Persisch, und wir haben Kontakt zu vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen.
    Mona kam neulich und erzählte, dass sie in der Schule jetzt Sexualkunde haben. Sie ist in der sechsten Klasse, und als sie eifrig mitredete, waren manche Mitschüler erstaunt und fragten, wie das denn bei ihr zu Hause sei mit dem Reden über Sexualität. Und sie waren noch erstaunter, als Mona sagte, dass ihre Eltern ihr alle Fragen offen beantworten würden. Uns ist es

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