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Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Titel: Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva;Buccieri Mozes Kor
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Tagen ohne Essen und Wasser unterwegs.
    Als der Zug am vierten Tag stehen blieb, rief Papa wieder nach draußen und bat den Posten um Wasser. Niemand antwortete.
    Wir begriffen, dass wir unser Ziel erreicht haben mussten. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und schaute aus dem Fenster. Der Himmel war dunkel. Ein oder zwei Stunden lang hörten wir draußen viele deutsche Stimmen, die Befehle schrien. Die Zugtüren blieben verschlossen.
    Schließlich brach die Morgendämmerung herein, die Zeit für Papa, sein Morgengebet zu sprechen. Er nahm sein Gebetbuch und versuchte herauszufinden, in welcher Richtung Osten lag, denn Juden beten ja nach Israel gewandt, das im Mittleren Osten liegt. Ich fragte mich, wie er in einem solchen Moment beten konnte.
    »Papa«, sagte ich. »Wir wissen nicht, wo wir sind. Sie haben uns angelogen. Wir sind nicht in einem Arbeitslager.«
    »Eva, wir müssen Gott um Barmherzigkeit bitten«, sagte Papa. »Komm her zu mir.« Er zog unsere Familie in eine Ecke des Viehwaggons. Miriam und ich pressten uns an ihn, unsere Schwestern und Mama folgten. Stumm lauschten wir, als unser Vater sprach. »Versprecht mir, dass ihr, falls irgendeine von euch diesen schrecklichen Krieg überlebt, nach Palästina geht, wo euer Onkel Aaron lebt und wo wir Juden in Frieden leben können.«
    Noch nie hatte er so mit uns Mädchen geredet, respektvoll, als seien wir Erwachsene. Miriam und ich und unsere großen Schwestern willigten feierlich ein.
    Papa begann sein Morgengebet.
    Draußen hörte ich deutsche Stimmen, die Befehle brüllten. Hunde bellten uns aus allen Richtungen entgegen. Die Türen des Viehwaggons öffneten sich quietschend. SS-Leute befahlen uns allen, herauszukommen.
    »Schnell! Schnell!«
    Ich sah hohe Stacheldrahtzäune, überall Wachtürme aus Beton. Soldaten lehnten sich heraus und richteten ihre Gewehrläufe auf uns. Ich habe keine Ahnung, wie wir von dem Viehwaggon auf die Selektionsrampe gekommen sind. Möglicherweise sind Miriam und ich aus dem Waggon gesprungen oder über ein Trittbrett aus Holz hinausgeklettert. Aber ziemlich rasch standen wir da auf der Rampe, von Grauen erfüllt, zwei zehnjährige Mädchen in gleich geschnittenen weinroten Kleidern.

Drittes Kapitel
    Mama packte Miriam und mich bei der Hand. Wir stellten uns nebeneinander auf der Betonrampe auf. Mir fiel der Geruch auf: ein widerlicher Gestank, wie ich ihn nie zuvor gerochen hatte. Er erinnerte mich an verbrannte Hühnerfedern. Zu Hause auf dem Bauernhof sengten wir, wenn die Hühner fertig gerupft waren, die letzten Federchen über einer Flamme ab, um die Tiere zu säubern. Hier aber war der Gestank überwältigend. Es war, als liefe man durch ihn hindurch, in ihm umher. Er war überall und unausweichlich. Ich fand nicht gleich heraus, woher er tatsächlich rührte.
    Dieser Ort war verwirrend und laut.
    Menschen kreischten.
    Da waren Schreie.
    Durcheinander.
    Verzweiflung.
    Gebell.
    Befehle.
    Weinen, Weinen, Weinen. Das Weinen von Kindern nach ihren Eltern. Das Weinen von Eltern nach ihren Babys. Das Weinen verstörter, fassungsloser Menschen. Das Weinen von Menschen, die mit Gewissheit erkannten, dass ihre Albträume Wirklichkeit geworden waren. In all diesem Weinen hallte der äußerste, unvorstellbarste Schmerz wider, der Schmerz aus menschlichem Verlust, Trauer und Leid.
    Ich hatte das Gefühl, dabei zuzusehen, wie die Dinge jemand anderem zustießen. Hier und da nahm ich gestaffelte Stacheldrahtabsperrungen wahr, helle Bogenlampen und Gebäudereihen. Die SS-Wachleute liefen mit großen Schritten zwischen den Menschengruppen umher, als suchten sie etwas.
    Dann plötzlich hatte ich das Gefühl, wieder in meinem Körper gelandet zu sein. Ich sah mich um und spürte Miriams zitternde Gestalt neben mir. Aber wo war Papa? Und wo meine großen Schwestern, Edit und Aliz? Ich suchte verzweifelt und hielt dabei die Hände meiner Mutter und meiner Zwillingsschwester schraubstockartig umklammert. Ich konnte meine restliche Familie nicht finden. Nach vier Tagen solch unmittelbarer Nähe zu meinen großen Schwestern und zu Papa hatte ich sie in meiner Bestürzung und Verwirrung aus den Augen verloren.
    Ich sah sie nie wieder.
    Ich klammerte mich an Mamas Hand. Ein SS-Mann rannte vor uns entlang. Er rief auf Deutsch: »Zwillinge! Zwillinge!« Er stürzte vorbei, blieb dann stehen, kehrte auf dem Absatz um und kam zurück. Er baute sich vor uns auf. Seine Augen wanderten zwischen Miriams und meinem Gesicht hin und her und

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