Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Titel: Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva;Buccieri Mozes Kor
Vom Netzwerk:
anders sagte: »Habt ihr heute Morgen gesehen, wie die Nazis die Leute, die mit den Zügen gekommen sind, in zwei Gruppen aufgeteilt haben? Wahrscheinlich verbrennen sie gerade jetzt die eine Gruppe. Wenn die Nazis denken, du wärst jung und stark genug zum Arbeiten, lassen sie dich leben. Die anderen werden in die Gaskammern verfrachtet und vergast.«
    Ich dachte an Mama, die nach ihrer langen Krankheit so schwach war.
    Ich dachte an Papa, der sein Gebetbuch fest umklammert hielt.
    Ich dachte an unsere beiden älteren Schwestern.
    Im tiefsten Inneren wusste ich, ohne dass es mir jemand gesagt hätte: Sie waren in die Schlange gedrängt worden, die in die Gaskammer gegangen war. Entgegen diesem Gefühl wagte ich zu hoffen, dass sie vielleicht doch noch lebten. Schließlich waren sie älter und klüger als Miriam und ich.
    »Wir sind Kinder«, sagte ich. »Wir können nicht arbeiten, aber wir sind trotzdem am Leben.«
    »Jetzt noch«, erwiderte eine der Zwillingsschwestern. »Und auch nur, weil wir Zwillinge sind, denn sie benutzen uns für Experimente, die Dr. Mengele durchführt. Morgen wird er gleich nach dem Zählappell herkommen.«
    Mit bebender Stimme fragte ich: »Was für Experimente?«
    Lea, ein zwölfjähriges Zwillingsmädchen, meinte, wir sollten aufhören, uns Sorgen zu machen, und schlafen gehen.
    Die anderen Kinder schliefen in Kleidern und Schuhen, also taten Miriam und ich es auch. Wir lagen mit unseren gleich geschneiderten Kleidern in unserem hölzernen Verschlag auf einer Strohmatratze. Obwohl ich müde war, konnte ich nicht schlafen. Ich wälzte mich hin und her und entdeckte plötzlich, dass sich etwas auf dem Fußboden bewegte. »Hier gibt es Mäuse!« Der Schrei entfuhr mir, bevor ich recht darüber nachgedacht hatte.
    »Ruhe!«, sagte jemand. »Das sind keine Mäuse, das sind Ratten. Sie tun dir nichts, solange du kein Essen im Bett hast. Und jetzt schlaf.« Ich hatte schon Mäuse auf unserem Gehöft gesehen, aber sie waren nicht so riesig wie diese Ratten; diese Nager hatten die Größe von kleinen Katzen.
    Ich musste die Latrine aufsuchen und Miriam ebenso. Im Dunkeln setzten wir unsere Füße auf den Boden, langsam, vorsichtig, wegen der Ratten. Wir kickten mit unseren Schuhen nach hinten und nach vorn, um sie zu verscheuchen. Dann liefen wir schnell ans Ende der Baracke. Die Latrine war ungefähr vier Quadratmeter groß, mit dunklen Holzwänden und Zementboden. Latrinen sind nicht mit unseren heutigen Toiletten vergleichbar; sie haben ein Loch im Boden, über das man sich hocken muss. Sie waren noch schlimmer als der Rest der Baracke. Erbrochenes und menschliche Fäkalien, die das Loch der Latrine nicht getroffen hatten, klebten überall. Der Gestank war abscheulich.
    Wir traten ein und ich erstarrte. Dort auf dem Boden im Dreck lagen die Leichen von drei nackten Kindern. Ich hatte noch nie einen toten Menschen gesehen. Da lagen sie, auf diesem harten, kalten, stinkenden Boden … tot. Genau in diesem Augenblick begriff ich, dass der Tod auch Miriam und mich ereilen konnte. Ich legte ein stummes Gelübde ab, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit Miriam und ich nicht wie diese Kinder umkommen würden. Wir würden stärker sein, schlauer sein, was auch immer notwendig war , damit wir nicht so endeten.
    Von jenem Moment an hielt ich eisern an der Vorstellung fest, dass wir das Lager lebend verlassen würden. Niemals erlaubte ich Ängsten oder Zweifeln, meine Gedanken zu beherrschen. Sobald sie auftauchten, verdrängte ich sie gewaltsam. Und kaum hatte ich die Latrine verlassen, konzentrierte ich mein ganzes Sein auf eines: einen weiteren Tag an diesem schrecklichen Ort zu überleben.

Viertes Kapitel
    Am Morgen gellte eine Pfeife. Es war noch dunkel. »Auf! Auf! Auf!«, schrie die Barackenaufseherin, eine »Pflegerin«, die auf uns aufpasste. Sie trug einen weißen Kittel. »Fertig machen!«, kreischte sie.
    Miriam und ich kannten die Abläufe noch nicht. Hand in Hand schauten wir zu, wie die größeren Mädchen den kleinen halfen, sich für den Zählappell vorzubereiten. Wir stellten uns im Freien in Fünferreihen auf und ließen uns durchzählen.
    Der Appell dauerte meist eine halbe bis ganze Stunde. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich mich an kein einziges Kind erinnern, das sich hingesetzt oder geweint hätte. Nicht einmal die Zweijährigen. Ich glaube, wir alle begriffen instinktiv, dass unser Leben von unserer Kooperationsbereitschaft abhing.
    Nach dem Zählappell gingen wir in

Weitere Kostenlose Bücher