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Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Titel: Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva;Buccieri Mozes Kor
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geschossen hatte. Er hatte mich nur abschrecken wollen. Die Sowjets hatten die Leitung des Lagers übernommen und versuchten, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
    Ich erinnere mich nicht, danach noch jemals Essen organisiert zu haben. Die Sowjets versorgten uns mit schmackhafter Bohnensuppe. Als Miriam und ich erst einmal zu essen angefangen hatten, konnten wir nicht mehr aufhören. Inzwischen wussten wir aber, dass zu viel Essen auf einmal nicht gut für uns war, deshalb überwachten Miriam und ich uns gegenseitig. Wir wollten nicht daran sterben, dass wir uns überaßen wie andere Zwillinge, die wir gekannt hatten.
    Ein paar Wochen später verließen wir endlich Auschwitz. Wir wurden mit einem Pferdefuhrwerk zu einem Waisenhaus in einem Kloster in Katowice (Kattowitz)/Polen gebracht. Später erfuhren wir, dass dies von den Sowjets organisiert worden war, die mit dem Roten Kreuz und jüdischen Flüchtlingsorganisationen zusammenarbeiteten.
    Als wir im Kloster ankamen, wurden wir in unsere neue Unterkunft gebracht. Ich war sprachlos. Miriam und ich bekamen ein eigenes hübsches Zimmer. Darin standen zwei Betten mit sauberen weißen Laken. Laken! Seit ungefähr einem Jahr hatte ich kein weißes Laken mehr gesehen. Ich fühlte mich merkwürdig fehl am Platz. Niemand hatte sich darum gekümmert, uns eine Möglichkeit zum Baden zu geben; wir waren verdreckt und von Läusen übersät. Ich konnte unmöglich in diesem sauberen weißen Bett schlafen.
    Lange starrte ich auf mein Laken. In jener Nacht zerrte ich es vom Bett und legte mich auf die blanke Matratze. Ich wollte nicht alles schmutzig machen. Es schien mir nicht richtig.
    Die Nonnen hatten auch wunderschönes Spielzeug in unser Zimmer gelegt, aber über dieses Spielzeug ärgerte ich mich. Das war etwas für Kinder. Ich war elf Jahre alt, und ich hatte zu spielen verlernt. Was ich mir wünschte und was ich brauchte, waren Wärme und liebevolle Zuwendung. In Auschwitz hatte ich darum gekämpft, Miriam und mich am Leben zu erhalten. Jetzt wollte ich nur noch nach Hause. Die Nonnen wussten nicht, was sie mit uns anfangen sollten. Sie betrachteten uns als Waisenkinder.
    Ich machte mich zum Sprachrohr für Miriam und mich selbst. »Wir sind Zwillinge. Das ist Miriam, und ich heiße Eva Mozes. Unser Vater heißt Alexander und unsere Mutter Jaffa. Wir kommen aus Portz.« Wir sprachen Ungarisch mit ihnen, weil wir kein Polnisch konnten; ein Dolmetscher übersetzte ihnen dann, was wir gesagt hatten. Die Gespräche brauchten viel Zeit.
    »Wo sind eure Eltern?«, fragten die Nonnen.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wer wird sich um euch kümmern?«
    »Ich weiß es nicht. Wir wollen nach Hause«, sagte ich immer wieder zu ihnen.
    Die Nonnen erwiderten: »Kinder können nicht entlassen werden, wenn sie keine Eltern haben.«
    »Aber wir haben doch Eltern«, sagte ich.
    »Wo?«
    »Ich muss nach Hause, um zu sehen, ob sie aus dem Lager zurückgekommen sind«, sagte ich. Jetzt, da wir in Sicherheit waren, konnte ich immer noch hoffen, Mama und Papa und meine Schwestern wiederzufinden.
    Die Nonnen erklärten uns, wir könnten nicht weggehen, solange niemand da war, der sich um uns kümmerte. Also mussten wir bleiben.
    Es gefiel mir nicht, in einem katholischen Kloster zu leben. Hier umgaben uns Kreuze, Kruzifixe und Gemälde von der Jungfrau mit Kind, und sie erschienen uns fremd. Ich sehnte mich nach einem vertrauteren Ort. Ich überlegte, was mein Papa, ein gläubiger Jude, denken würde, wenn er Miriam und mich in einem Kloster sähe. Die Nonnen versuchten uns keineswegs zu bekehren oder dergleichen, aber es war doch eine allzu seltsame Umgebung für uns.
    Ältere Mädchen, die Auschwitz überlebt hatten und ebenfalls im Kloster untergebracht waren, erzählten uns, wir könnten in die Stadt Kattowitz gehen und dort mit der Straßenbahn fahren, ohne Fahrscheine zu bezahlen. Wir müssten lediglich die Nummern vorzeigen, die in unsere Arme eintätowiert waren. Die Mädchen erzählten uns, wir müssten nicht Polnisch sprechen und überhaupt nichts sagen. Da wir fast ausschließlich Ungarisch sprachen, war das eine kleine Beruhigung.
    Wir gingen also in die Stadt und stellten fest, dass sie die Wahrheit gesagt hatten: Wir durften kostenlos mit der Straßenbahn fahren. Immer wieder fuhren Miriam und ich vom einen Ende der Stadt zum anderen. Die pure Freude daran, frei zu sein, den Wind um unsere Ohren zu fühlen und entscheiden zu können, was wir wollten, war ungeheuer befreiend für uns.
    Durch

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