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Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Titel: Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva;Buccieri Mozes Kor
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zum Marschieren waren, blieben ebenfalls.
    Später erfuhr ich aus einem Augenzeugenbericht, dass Dr. Mengele am Abend des 18. Januar 1945 dem Labor, in dem wir Zwillinge so oft vermessen, gespritzt, geschnitten und zur Ader gelassen worden waren, einen letzten Besuch abgestattet hatte. Er nahm zwei Kisten voller Unterlagen mit, die Aufzeichnungen über die rund dreitausend Zwillinge enthielten, an denen er in Auschwitz Experimente durchgeführt hatte. Er verstaute die Kisten in einem wartenden Auto, fuhr weg und schloss sich einer Gruppe von fliehenden NS-Soldaten an.
    Etwa neun Tage lang hörten wir ununterbrochen Schüsse und Bombenabwürfe. Das Bumm-bumm-bumm des Artilleriefeuers brachte die Fenster unserer Baracke zum Klirren. Unter den Erwachsenen war die Rede davon, dass wir bald befreit würden. Befreiung. Miriam und ich wussten nicht, was das bedeutete. Wir versteckten uns drinnen und warteten.
    Am Morgen des 27. Januar verstummte der Lärm. Zum ersten Mal seit Wochen war es völlig still. Wir hofften, dass dies »die Befreiung« war, aber wir hatten keine Vorstellung davon, wie sie sein würde. Alle in der Baracke drängten zum Fenster.
    Es schneite heftig. Bis zu diesem Tag kann ich mich nur an ein graues Lager erinnern – die Gebäude, die Straßen, die Kleider, die Menschen, alles war schmutziggrau. In meiner Wahrnehmung hing eine permanente Rauchwolke über dem Lager.
    An diesem Tag, irgendwann im Lauf des Nachmittags, vielleicht so gegen drei oder vier Uhr, kam eine Frau zur Baracke gerannt und fing an zu schreien: »Wir sind frei! Wir sind frei! Wir sind frei!«
    Frei? Wie meinte sie das?
    Alle stürzten zur Tür. Ich stand oben auf der Schwelle, riesige Schneeflocken fielen auf mich herab. Ich konnte nicht weiter als ungefähr zwei Meter sehen. Den ganzen Tag über hatte es geschneit, das schmutzige Grau von Auschwitz war jetzt in eine weiße Schneedecke gehüllt.
    »Siehst du nicht irgendwas kommen?«, fragte ein älteres Mädchen.
    Ich bemühte mich die ganze Zeit, durch das Schneegestöber hindurchzuschauen. »Nein …« Ich kniff die Augen zusammen.
    Dann sah ich sie.
    Ungefähr sechzig Meter entfernt tauchten aus dem Schnee Sowjetsoldaten auf, die in Umhängen und Uniformen auf uns zumarschierten. Sie redeten nicht, während sie knirschend durch den Schnee stapften.
    Als sie näher kamen, schien es uns, als würden sie lächeln. War es ein höhnisches Grinsen oder doch ein Lächeln? Ich schaute genau hin. Ja, es war ein Lächeln. Ein echtes Lächeln. Freude und Hoffnung wallten in uns auf. Wir waren in Sicherheit. Wir waren frei!
    Weinend und lachend rannten wir zu den Soldaten und umringten sie.
    Ein Ruf stieg aus der Menge auf: »Wir sind frei! Wir sind frei!« Lachen und Schluchzer der Erleichterung waren zu hören, alles durcheinander in einem Tumult von Freudenkundgebungen.
    Die sowjetischen Soldaten lachten ebenfalls, einige gleichzeitig mit Tränen in den Augen, und umarmten uns. Sie schenkten uns Kekse und Schokolade – köstlich!
    Es war unser erster Vorgeschmack auf die Freiheit. Und ich begriff, dass mein stummes Gelübde, abgelegt in der Latrine während der ersten Nacht – ich wollte überleben und mit Miriam an meiner Seite lebend das Lager verlassen – Wirklichkeit geworden war.

Zehntes Kapitel
    Ich schlang meine Arme um den Hals eines sowjetischen Soldaten, und er hob mich hoch. Während Miriam seitlich an mir hing, klammerte ich mich an ihn. Alle umarmten und küssten sich und riefen: »Wir sind frei!«
    In jener Nacht setzten die Soldaten die Feier in den Baracken fort. Sie tanzten mit den Frauen und tranken mit den Männern Wodka direkt aus der Flasche. Alle lachten und sangen. Wir hatten auch Musik: Einige trommelten auf selbst gemachten Instrumenten, indem sie mit Löffeln auf Konservendosen schlugen, und irgendjemand spielte Akkordeon. Ein paar Kinder tanzten mit, sie hüpften auf dem Boden, auf den Schlafpritschen, an den Erwachsenen auf und ab. Noch nie hatte ich so viel ausgelassene Fröhlichkeit erlebt, schon gar nicht in unserem Todeslager.
    Miriam und ich saßen glücklich auf unserer Pritsche, beobachteten diese Szene außerordentlicher Zufriedenheit und Hochstimmung und freuten uns daran. Was für ein verrückter Anblick. Es war die schiere menschliche Freude, am Leben zu sein.
    »Wir sind frei!«, sagte ich versonnen vor mich hin und nickte mit dem Kopf im Takt der Musik.
    »Ja. Keine schreckliche Pflegerin mehr!«
    »Kein Heil, Doktor Mengele mehr!«
    »Keine

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