Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
und ging nach Belieben und ernährte sich von Essensabfällen.
Wir befragten Shmilu zu unseren Eltern. »Ich habe keinen aus eurer Familie gesehen«, sagte er uns. »Ich weiß nur, dass eure Tante Irena überlebt hat und euch erwartet.« Sie war in ein Konzentrationslager geschickt worden, aber im Mai zurückgekehrt.
Ich fühlte mich in dem Haus nicht wohl, obwohl es doch unseres war. Ich hatte das Gefühl, ich gehörte nicht mehr dorthin. Miriam und ich hatten kein Zuhause, keine Eltern, keine Geschwister. Aber wir hatten immer noch einander.
Wir gingen mit unserem Cousin Shmilu weg. Einige Dorfbewohner standen vor ihren Toren und schauten uns schweigend zu. Ich war zornig auf sie, sagte aber nichts. Wir bestiegen einen Zug, der Miriam und mich in die große Stadt Cluj (Klausenburg) bringen sollte; dort würden wir mit unserer Tante zusammentreffen.
Irgendwie würden wir uns ein neues Leben aufbauen.
Dreizehntes Kapitel
In den nächsten fünf Jahren, von 1945 bis 1950, lebten Miriam und ich bei Tante Irena. Sie besaß ein großes Mietshaus in Cluj.
Vor dem Krieg hatten Miriam und ich uns immer gefreut, Tante Irena zu besuchen oder von ihr Besuch zu bekommen. Sie und ihr Mann reisten ausgiebig, und sie erzählte uns Geschichten von Ferien an der französischen Riviera und in Monte Carlo. Mit Vergnügen lauschten wir den Geschichten und betrachteten ihren Schmuck und ihre Pelze. Ihr Sohn war unser Lieblingscousin.
Doch ein oder zwei Jahre nach unserer Ankunft in Cluj entdeckten wir allmählich, dass die Freiheit nicht das war, was wir von ihr erwartet hatten. Rumänien wurde jetzt von den Kommunisten beherrscht. Die kommunistische Partei war die einzige politische Partei und besaß uneingeschränkte Macht. Die Geheimpolizei verhaftete jeden, der gegen die Regierung war, übernahm den Besitz der Leute und verteilte ihn an die Bauern.
Während des Kriegs hatten die Nationalsozialisten Tante Irena zur Arbeit in einer Bombenfabrik in Deutschland gezwungen. Ihr Mann und ihr Sohn waren in den Konzentrationslagern umgekommen. Als sie nach Cluj zurückkehrte, stellte sie fest, dass die Kommunisten ihr den Großteil ihres Besitzes weggenommen hatten. Allerdings ließ der Staat Tante Irena das Haus, da sie Kriegswitwe und KZ-Überlebende war. Sie heiratete einen Apotheker, der ebenfalls ein Überlebender war.
Wir lebten alle zusammen, aber wir waren keine richtige Familie. Wir wussten, dass wir unserer Tante etwas bedeuteten, denn sie war die Einzige aus unserer Verwandtschaft, die uns aufzunehmen bereit war. Aber Tante Irena umarmte und küsste uns nie, sie sagte nie etwas Liebevolles. Miriam und ich hungerten nach Zuneigung und sehnten uns nach einer liebevollen Mutter.
Tante Irena besaß noch immer Perserteppiche, eine Porzellansammlung und einige elegante Kleidungsstücke, die ihr aus ihren Vorkriegstagen geblieben waren. Diese Schätze erinnerten sie an ihr früheres schönes Leben und schienen ihr seltsamerweise mehr zu bedeuten als wir.
Miriam und ich fühlten uns in jener großen Wohnung fehl am Platz. Wir waren schmuddelig und unordentlich. Wir waren elfjährige Kinder, die aus den Baracken von Auschwitz zurückgekehrt waren. Wir gehörten nicht nach Auschwitz, aber wir gehörten auch nicht richtig in diese schicke Wohnung in Cluj.
Jede Nacht hatte ich Albträume. Ich träumte von Ratten, so groß wie Katzen, von Leichen und Nadeln, die in mich gestochen wurden. Nachdem wir gehört hatten, die Nazis hätten aus Judenfett Seife gemacht, träumte ich, dass Seifenstücke mit den Stimmen meiner Eltern und Schwestern zu mir sprachen und fragten: »Warum wäschst du dich mit uns?«
Ich erzählte Miriam nichts davon, weil ich fürchtete, sie werde sich deswegen schlecht fühlen und ebenfalls Albträume bekommen. Wir entwickelten beide gesundheitliche Probleme und waren ständig erkältet. Schmerzhafte Geschwüre breiteten sich auf unseren Körpern aus. Die Geschwüre wuchsen apfelgroß und wurden zu Narben. Als Tante Irena uns zum Arzt brachte, versetzte mich das in Angst und Schrecken – ich musste an Dr. Mengele und seine Assistenten in weißen Kitteln denken. Ich hatte gelernt, Ärzten nicht sonderlich zu vertrauen.
Als der rumänische Arzt uns untersuchte, sagte er: »Diese Kinder leiden unter etwas, das viele Kriegskinder betrifft: Mangelernährung. Es fehlt ihnen nichts, was Vitamine und eine kräftige Kost nicht wieder in Ordnung bringen könnten.«
Zu jener Zeit waren Vitamine nicht verfügbar und
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