Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
Essen knapp. Wir standen stundenlang für einen Laib Brot an. Zum Glück brachte unser Cousin Shmilu Mehl, Kartoffeln, Eier, Gemüse und Sonnenblumenöl vom Bauernhof. Miriam und ich waren ganz versessen auf dieses Öl, wir tranken es wahrhaftig direkt aus der Flasche! Das beunruhigte Tante Irena, aber der Arzt sagte ihr, sie solle uns das Öl trinken lassen, es scheine uns besser zu gehen.
Als ich eines Tages auf der Veranda der Wohnung saß und Weißbrot aß, beobachtete mich jemand und zeigte mich bei der Staatspolizei an. In der Nacht kam die Polizei, veranstaltete eine Razzia in der Wohnung und beschlagnahmte unsere sämtlichen Lebensmittel. Am nächsten Tag baute meine Tante einen versteckten Schrank, der nach außen wie eine Wand aussah. Man kam nur hinein, wenn man einen Knopf betätigte. Von da an versteckten wir unsere Lebensmittel in diesem Schrank.
Eines Nachts holte die Geheimpolizei Tante Irenas Mann ab, ohne jede Erklärung. Er verschwand. Wir wussten nicht, ob er lebendig oder tot war. Wenn wir aus dem Haus gingen, machten wir uns nun ständig Sorgen darüber, wer uns vielleicht beobachtete oder belauschte. Es konnte uns ja jemand bei der Geheimpolizei anschwärzen.
Das Leben im kommunistischen Rumänien wurde immer schwieriger. Die Regierung kontrollierte alles, auch die Schulen.
Am ersten Tag auf der höheren Schule trugen Miriam und ich unsere gleich geschnittenen Khaki-Kleider. Wir erinnerten uns, wie wir in Portz in unseren gleich geschnittenen weinroten Kleidern zur Schule gegangen waren. Jetzt machten sich alle Kinder wegen unserer Kleider über uns lustig.
Wir hatten nur anderthalb Jahre verpasst und lagen mit dem Unterrichtsstoff nicht weit zurück. Allerdings war die Schule schwieriger für uns, weil wir Ungarisch sprachen und der Unterricht in Rumänisch gehalten wurde.
In der Schule waren wir die einzigen Jüdinnen. Andere Schüler beschimpften uns trotz allem, was wir durchgemacht hatten. Antisemiten in Cluj verbreiteten Gerüchte, dass ein jüdischer Vampir nachts Christenmädchen verfolge und ihnen das Blut aussauge. Miriam und ich gingen zum Abendessen in ein Waisenhaus, weil es bei Tante Irena nicht genug zu essen gab. Wenn wir nach Hause liefen, dachte ich immer: Woher weiß dieser Vampir, dass ich Jüdin bin, damit er mich nicht angreift?
Doch es waren nicht allein die Juden, die verfolgt wurden. Für alle waren die Verhältnisse schrecklich. Schließlich wandten Miriam und ich uns an eine jüdisch-zionistische Organisation, um etwas über Palästina zu erfahren, aber danach löste die Regierung diese Organisation auf.
Manchmal bekamen wir Päckchen von unserer Tante in den Vereinigten Staaten. Einmal schickte sie Stoffe, und Tante Irena ging mit uns zur Schneiderin und ließ drei Paar gleiche Kleider für Miriam und mich nähen. Unsere Lieblingskleider waren blau mit kleinen Tupfen. Wir liebten es, gleiche Kleider zu tragen, weil wir damit Aufmerksamkeit erregen und die Jungen an der Nase herumführen konnten. Unsere amerikanische Tante schickte auch Mäntel, aber der Schnitt war für Erwachsene und sie passten nicht.
Eines Tages im Jahr 1948 – wir waren vierzehn – kündigte die Regierung an, das Warenhaus werde neue Mäntel zum Verkauf anbieten. Miriam und ich standen die ganze Nacht Schlange und warteten, dass das Geschäft um zehn Uhr morgens öffnete. Aber es kamen zwölftausend Leute – für zweihundert Mäntel! Als die Türen aufgingen und die Leute hineinstürmten, entdeckte uns eine Verkäuferin, die mit unserer Tante befreundet war. Sie warf uns zwei Mäntel zu und schob uns unter eine Ladentheke. Später bezahlten wir und verließen das Geschäft mit zwei gleich geschnittenen rostfarbenen Mänteln, in der Farbe von Herbstlaub. Wir trugen diese Mäntel, als wir viel später mit dem Schiff nach Israel fuhren.
In Palästina entstand 1948 der Staat Israel. Bei mir entwickelte sich der Gedanke, es sei ein Privileg, an einem Ort zu leben, an dem zu leben mein Vater sich erträumt hatte. Als wir Papa zum letzten Mal sahen, hatte er uns das Versprechen abgenommen, nach Palästina zu gehen, falls wir überlebten.
Miriam und ich wechselten Briefe mit Onkel Aaron, Papas Bruder, der in Haifa lebte, und schickten ihm ein Foto von uns. Onkel Aaron bot an, uns beim Umsiedeln behilflich zu sein und unserer Not ein Ende zu setzen. Wir schrieben ihm und fragten, ob es in Israel Schokolade gebe. Er antwortete, wir könnten so viel Schokolade essen, wie wir wollten, und
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