Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
der Nähe seines Befreiers zu sein, der den amerikanischen Streitkräften angehörte.
Ich darf verraten, dass es keine besonders gute Idee ist, jemanden zu heiraten, ohne mit ihm in derselben Sprache kommunizieren zu können. Wir hatten beide mit allzu vielen Überraschungen zu kämpfen, während wir uns allmählich kennenlernten. Beispielsweise dachte er anfangs, ich sei sehr still! Wie man sich wohl aus den vorliegenden schriftlichen Erinnerungen zusammenreimen kann, bin ich das nicht; ich sprach lediglich kein Wort Englisch.
Von Tel Aviv nach Terre Haute zu ziehen, war etwa so, wie auf dem Mond zu landen. Ich wusste nichts über das Leben in Amerika, ich sprach kein Englisch und glaubte, jedermann sei reich. Nach wenigen Wochen war ich schwanger. Ich hatte so furchtbares Heimweh, vermisste Miriam und meine Freunde in Israel so sehr, dass ich mich vor den Fernseher setzte, um meine Einsamkeit zu ertränken. Damals glaubte ich, die Amerikaner brächten im Fernsehen nichts als Nachrichten und Sport, weil das die einzigen Sendungen waren, die mein Mann anschaute.
Eines Tages lief zu meiner Überraschung ein Film über ein verliebtes junges Paar, das sich küsste und so lebte, wie junge Leute es tun.
Das war doch endlich mal eine Sendung, die sich anzuschauen lohnte!
Ich versank völlig darin und löste den Blick nur von der Handlung auf dem Bildschirm, um Wörter zu notieren, die ich nicht kannte, damit ich sie später im Wörterbuch nachschlagen konnte. Anschließend prägte ich mir diese Wörter ein. Mit dieser Methode lernte ich so gut Englisch sprechen, dass ich binnen drei Monaten nach meiner Ankunft in den Vereinigten Staaten eine Arbeitsstelle fand.
Unser Sohn Alex Kor kam am 15. April 1961 zur Welt, unsere Tochter Rina Kor am 1. März 1963. Ich glaubte, mein Leben sei nun vollkommen. Und doch, meine Kindheitserlebnisse kamen immer wieder hoch und verfolgten mich. Die Kindergeburtstage begannen und wurden zu einem Problem, weil meine Kleinen mich fragten, warum sie denn keine Großeltern hätten wie all ihre Freunde.
Als Alex sechs Jahre alt war, tauchte an Halloween ein recht beliebtes Kind mit seinen Freunden bei uns auf, um ihm Streiche zu spielen. Diese Streiche erinnerten mich an die Zeit, in der die Nazijugend uns in Portz drangsalierte, eine Zeit, in der ich hilflos war und nichts zu meiner Verteidigung unternehmen konnte. Aber jetzt lebte ich in diesem großartigen Land, wo ich so etwas nicht einfach hinnehmen musste! Ich ging also hinaus und scheuchte die Kinder weg. Das machte mich von da an zu Halloween sehr »beliebt«. Jedes Jahr am 1. Oktober begannen die Schikanen: Sie malten uns Hakenkreuze ans Haus und legten weiße Kreuze in den Hof – es war furchtbar.
Alex kam weinend von der Schule nach Hause und sagte: »Mama, ich schäme mich so wegen dir! Alle sagen, du wärst verrückt! Warum bist du nicht wie all die anderen Mütter?« Ich sagte meinem Sohn, ich sei nicht verrückt, allerdings auch nicht wie all die anderen Mütter. Die Kinder, so dachte ich, würden Verständnis entwickeln und mich in Frieden in meinem Haus leben lassen, wenn ich ihnen erzählte, was mir als Kind zugestoßen war. Aber als Opfer derartiger Abscheulichkeiten wusste ich nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte.
Elf Jahre lang wurde ich drangsaliert, bis 1978, als NBC den Film »Holocaust« ausstrahlte. Plötzlich begriffen alle, weshalb ich anders war. Dieselben Kinder, die mich an Halloween verhöhnt hatten, riefen an oder schrieben mir und entschuldigten sich.
1978 begann ich Vorträge zu halten, und die Leute fragten mich jedes Mal nach Einzelheiten der Experimente. Ich hatte nie alle Details über Auschwitz erfahren, dachte aber, es müssten massenhaft Informationen über die Lager und über Dr. Mengele verfügbar sein. Unglücklicherweise fand ich jedoch keinerlei Informationen in Büchern. Ich erinnerte mich, dass in dem Film über die Befreiung des Lagers ungefähr zweihundert Kinder gezeigt wurden, die aus dem Lager marschierten. Wenn ich zu diesen Kindern, inzwischen Erwachsenen, Kontakt aufnehmen könnte, könnten wir unsere Erinnerungen miteinander abgleichen und Stück für Stück ein Bild dessen zusammenfügen, was uns angetan worden war. Aber ich wusste nicht, wo ich sie suchen sollte.
Es dauerte sechs Jahre, bis ich auf die Idee kam, eine Organisation aufzubauen, die mir und Miriam helfen sollte, die Mengele-Zwillinge aufzuspüren. Im Jahr 1984 gründeten wir CANDLES, abgekürzt für Children
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