Ich habe einen Namen: Roman
Sein Name war Chekura. Er war dünn wie
ein Grashalm und so ungelenk wie eine Ziege mit drei Beinen. Oben auf seinen
Wangen trug er je einen Stern.
»Deine Monde sind
schön«, sagte er.
»Du kommst aus dem Dorf
Kinta«, sagte ich.
»Woher weißt du das?«
Ich deutete auf seine
Sterne. »Ich kenne deine Zeichen.«
»Warst du schon mal in
Kinta?«, fragte er.
»Ja. Wie alt bist du?«
»Vierzehn Regenzeiten.«
»Ich wette, meine
Mutter hat dich herausgeholt«, sagte ich.
»Wo heraus?«
»Aus dem Bauch deiner
Mutter, Dummkopf. Sie ist eine Hebamme. Und ich helfe ihr.«
»Du lügst.« Er wollte
mir nicht glauben, bis ich ihm die Namen von ein paar Frauen aus Kinta nannte,
die kürzlich erst Kinder bekommen hatten.
»Ja«, sagte ich. »Meine
Mutter hat dich ganz sicher auf die Welt gebracht. Wie heißt deine Mutter?«
»Meine Mutter ist tot«,
sagte er düster.
Eine Weile sagten wir
beide nichts, aber er blieb neben mir.
»Wie konntest du uns
das antun?«, flüsterte ich schließlich. Er antwortete nicht, also fuhr ich
fort: »Meine Mutter und ich kamen gerade aus deinem Dorf. Ich erkenne es an den
beiden runden Hütten, der hohen Erdmauer und dem komisch aussehenden Esel mit
dem ausgefransten Ohr. Sein anderes Ohr hat gelbe Streifen.«
»Das ist der Esel von
meinem Onkel«, sagte er.
»Hast du denn kein
Ehrgefühl?«
Nach dem Tod seiner
Eltern, erklärte er mir, sei er von seinem Onkel verkauft worden. Seit drei
Regenzeiten ließen sich die Menschenfänger von ihm helfen, ihre Gefangenen zum
großen Wasser zu bringen. Das bedeutete also, dass auch wir zum großen Wasser
gingen, wofür ich mir nur drei Gründe vorstellen konnte: zu trinken, zu fischen
oder es zu überqueren. Das Dritte musste es sein. Ich wollte Chekura danach
fragen, aber er erzählte immer weiter über sich. Er sagte, sie hätten ihm
erklärt, vielleicht würden sie ihn eines Tages gehen lassen. Aber sie hatten
ihn auch gewarnt: Wenn er ihre Befehle nicht ausführe, werde er mit den anderen
Gefangenen weggeschickt. Chekura trug ständig dieses gezwungene Lächeln im
Gesicht. Er lächelte so sehr, dass ich dachte, irgendwann müssten sich um seine
Mundwinkel dicke Falten bilden. Er lächelte sogar, als er mir erklärte, sein
Onkel habe ihn nie gemocht und oft geschlagen, bevor er ihn an die
Menschenfänger verkauft habe. Einerseits wollte ich Chekura hassen und mir
meinen Hass durch nichts verderben lassen, andererseits aber mochte ich ihn und
sehnte mich nach seiner Gesellschaft. Jedes Gespräch mit einem anderen Kind war
mir ein Trost.
Fanta war oft
schlechter Laune, und es gefiel ihr nicht, dass ich mit Chekura redete. Sie
versuchte mir zu befehlen, bei ihr zu bleiben, aber gewöhnlich gehorchte ich
ihr nicht.
»Er ist nicht aus
unserem Dorf«, sagte sie.
»Sein Dorf liegt nicht
weit von unserem, und er ist doch nur ein Junge«, sagte ich darauf.
»Er arbeitet für unsere
Peiniger«, sagte Fanta. »Erzähl ihm nichts. Rede nicht mit ihm.«
»Und was ist mit dem
Essen von ihm, das ich mir manchmal mit dir teile?«, fragte ich.
»Nimm das Essen«, sagte
sie, »aber rede nicht mit ihm. Er ist nicht dein Freund. Vergiss das nicht.«
Am nächsten Tag warf
Fanta einen Stein nach mir, als ich mich mit Chekura unterhielt.
»Die Frau trägt den
Kopf hoch«, sagte Chekura.
»Die Schlinge scheuert
ihr den Hals auf«, sagte ich. »Sag euren Anführern, sie sollen sie und die
anderen Frauen von den Stangen befreien. Sie laufen nicht weg.«
»Ich werde sie fragen«,
versprach er.
Einen Tag später wurde
Fanta von der Stange losgemacht, dafür wurde sie mit dem Fuß an eine andere
Frau gebunden. Fanta und ich fingen an, nebeneinander zu gehen, aber nie ganz
vorne, um nicht zu denen zu gehören, die Schlangen und Skorpione aufscheuchten,
und auch nicht hinten, weil wir Angst hatten, geschlagen zu werden, falls wir
langsamer wurden.
»In der Mitte ist es am
sichersten«, flüsterte Fanta. »Mein Mann würde sagen, dass ich hier gehen
soll.«
»Was ist mit ihm
geschehen?«, flüsterte ich.
»Als sie mich
wegschleppten, kämpfte er gerade mit zwei Männern«, sagte sie.
»Und das Dorf?«
»Die Hälfte stand in
Flammen.«
Fanta presste die
Lippen zusammen und wandte sich ab. Ich fragte lieber nicht weiter nach.
Wir kamen an unzähligen
Dörfern vorbei. Ich hörte Trommelschläge, sah Bussarde faul am Himmel kreisen
und fing den Geruch von gebratenem Ziegenfleisch auf, der vom Wind
herangetragen wurde, aber niemand half uns. Es gab
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