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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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gesogen.
Stattdessen sah ich meine Mutter bewegungslos im Wald liegen, sah die
zitternden Lippen meines Vaters, als seine Brust explodierte.
    Ich ging weiter, weil
ich dazu gezwungen wurde. Ich ging, weil es das Einzige war, was ich tun
konnte. Und während ich in jener Nacht immer weiterlief, hörte ich wieder und
wieder die letzten Worte meines Vaters: Aminata,
Aminata, Aminata .

Drei Monde lang
     
    Ich war
voller Angst, dass uns unsere Fänger schlagen, kochen und essen würden, aber
zunächst einmal erniedrigten sie uns: Sie rissen uns die Kleider herunter, und
uns blieben keine Kopftücher oder sonst etwas, um unseren Leib und unser
Geschlecht zu bedecken. Wir hatten nicht einmal Sandalen für unsere Füße. Wir
waren gekleidet wie Ziegen, und unsere Nacktheit brandmarkte uns als Gefangene,
wohin immer wir kamen. Aber auch unsere Fänger waren als das zu erkennen, was
sie waren, am mangelnden Licht in ihren Augen. Niemals habe ich einen
schreckliche Dinge tuenden Menschen gesehen, der mir ruhig in die Augen
geblickt hätte. Einem anderen Menschen ins Gesicht zu sehen, bedeutet
zweierlei: seine Menschlichkeit anzuerkennen und die eigene geltend zu machen.
Als ich meinen langen Marsch weg von zu Hause begann, stellte ich fest, dass es
Leute auf dieser Welt gab, die mich weder kannten noch liebten und denen es
egal war, ob ich lebte oder tot war.
    Wir waren acht
Gefangene aus Bayo und den Nachbardörfern. Im Dunkeln war Fomba der Einzige,
den ich erkannte. Ich stolperte vorwärts und bemerkte über Stunden nicht, wie
die Schlinge mir die Haut vom Hals rieb. Sie hatten mich damit an eine ihrer
Stangen gebunden. Ich konnte nicht aufhören, an meine Eltern und das, was ihnen
passiert war, zu denken. Ich konnte mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen,
aber ich lebte noch und sie waren nicht mehr da. Wach
auf , sagte ich mir. Wach auf, nimm einen Schluck aus der Kalebasse neben deiner
Schlafmatte und geh und drücke deine Mama an dich. Dieser Traum ist wie ein
schmutziges Kleid. Steige hinaus und gehe zu deiner Mama . Aber der unerträgliche Albtraum wollte
nicht enden.
    Während wir durch die
Nacht wanderten, wurden wir immer mehr. Im ersten Licht des Morgens sah ich
Fomba mit gesenktem Kopf dahingehen. Und dann entdeckte ich Fanta. Vom Häuptling
war nichts zu sehen. Auch Fanta war an eine der Stangen gebunden. Ihr Blick
schoss von links nach rechts, zu Boden und in die Höhe, glitt über den Wald und
schätzte unsere Fänger ab. Ich wollte ihr etwas zurufen, aber sie hatte einen
Lumpen im Mund, der mit einer Schnur festgebunden war. Ich versuchte ihren
Blick aufzufangen, aber sie sah an mir vorbei. Ihr nackter Bauch sagte mir,
dass die Frau des Häuptlings ein Baby erwartete. Meiner Schätzung nach war sie
etwa im fünften Mond.
    Wir gingen mit der aufgehenden
Sonne im Rücken und kamen zu einem großen, geschäftigen Fluss. Endlich banden
sie uns los und ließen uns am Rand des Wassers ausruhen. Vier der Männer
bewachten uns mit Feuerstöcken und Knüppeln.
    Vielleicht war der
Fluss der Joliba, der an Ségou vorbeifloss. Wie mein Vater es beschrieben
hatte, war er so breit, dass man keinen Stein bis ans andere Ufer hätte werfen
können, und er war voller Kanus und Männer, die Menschen und Waren übers Wasser
ruderten. Unsere Fänger verhandelten mit einem Bootsmann, und wir wurden erneut
an den Händen gefesselt und in mehrere Kanus gestoßen. Meines wurde von sechs
Männern gerudert. Ihre Arme bewegten sich gleichmäßig vor und zurück, und ich
sah zu den anderen Kanus hinüber, die über das Wasser glitten. In einem stand
ein Pferd, majestätisch und völlig schwarz, mit einem kleinen weißen Kreis
zwischen den Augen. Die Ruderer schwitzten, und das Pferd stand völlig ruhig
da.
    Am anderen Ufer des
Flusses wurden wir wieder losgebunden und an Land gelassen. Die sumpfige Erde
stank. Mücken stachen mich in Arme und Beine und gingen sogar auf meine Backen
los. Unsere Fänger bezahlten die Ruderer mit Kaurischnecken. Ich spürte eine im
Sand unter meinen Zehen und hob sie auf, bevor sie mir erneut eine der Stangen
an den Hals banden. Das Schneckenhaus war weiß und hart und hatte gewellte, mit
winzigen Zähnen geriffelte Lippen. Es war schön und vollkommen, nicht größer
als mein Daumennagel, und schien mir unverwüstlich. Ich spülte es aus und legte
es mir auf die Zunge. Es fühlte sich wie ein Freund in meinem Mund an und
tröstete mich. Ich saugte fest daran und fragte mich, wie viele Kauris ich

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