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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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sah Chekura an, der nickte und mir bedeutete, dass ich mit ihnen gehen
dürfe. Die eine Frau hielt mich bei der Hand, die andere folgte uns. Wir ließen
die unter den Bäumen lagernden Gefangenen hinter uns und gingen an einem
Wachposten vorbei in das von einer Mauer umgebene Dorf. Ich sah einen Brunnen,
einige runde Vorratshütten und ein paar rechteckige Häuser mit Lehmwänden,
ähnlich wie bei uns in Bayo. Die Frauen brachten mich zu einer kleinen Hütte
weiter hinten, die offenbar der Frau gehörte, die mich bei der Hand hielt. Sie
brachte mir einen Kessel mit warmem Wasser, damit ich mich waschen konnte. Als
ich fertig war, brachten sie mich nach drinnen, wo es kühl war, und setzten
mich auf eine Bank. Ich sah mich nach Messern oder anderen Instrumenten um und
fragte mich, ob sie etwas mit mir machen wollten, jetzt wo meine Weiblichkeit
hervortrat. Gerade als meine Angst ihren Höhepunkt erreichte und ich zur Tür
sah, ob mir womöglich jemand die Flucht versperren würde, kam eine weitere Frau
mit einem blauen Tuch. Sie gab es mir und bedeutete mir, ich solle es um mich
wickeln. Das Tuch war so lang und breit, dass es ganz um meinen Leib reichte,
und ich fühlte mich so viel besser und sicherer, als mein Geschlecht bedeckt
war. Plötzlich war ich schrecklich hungrig und begriff, dass die Nacktheit
meinen Hunger in Zaum gehalten hatte. Die Frauen luden mich ein, mit ihnen zu
essen, und redeten unablässig auf mich ein. Nimm zu
essen , hörte ich meine
Mutter durch ihre Stimmen aus dem Land der Geister sagen. Nimm zu essen, mein Kind. Diese Frauen werden dir nichts tun .
    Sie gaben mir etwas
Ziegenfleisch mit Malaguetta-Pfeffer in scharfer Erdnusssoße. Es war köstlich,
aber sehr schwer. Ich spürte, wie sich mein Magen dagegen wehrte, und konnte
nur wenig davon essen. Sie drückten mir ein Säckchen Erdnüsse in die Hand und
dazu noch ein paar Streifen getrocknetes, gepökeltes Ziegenfleisch. Immer
weiter redeten sie auf mich ein, und ich nahm an, dass sie mich nach meiner
Familie und meinem Namen fragten. Ich antwortete ihnen in meiner eigenen Sprache,
was sie vor Lachen aufschreien ließ. Endlich brachten sie mich zu meinen
Fängern zurück. Sie schienen zu verhandeln, machten ein Angebot, schmeichelten,
drangen bei den Männern aber offenbar nicht durch, die mit den Köpfen
schüttelten und sie verscheuchten. Die Frauen kamen noch einmal zu mir,
drückten mir die Hände und berührten die Mondsicheln auf meinen Wangenknochen.
Wieder und wieder sagten sie mir etwas, das ich nicht verstand, wandten sich
dann ab und gingen. Ich wünschte, ich hätte bei ihnen bleiben dürfen. Ich
setzte mich unter einen Baum, bewacht von meinen Fängern, und war zu verwirrt,
um schlafen zu können. Ich hatte keine Ahnung, ob die Menschen im nächsten Dorf
grausam oder freundlich zu uns sein würden.
    Die Zahl der Gefangenen
wuchs täglich weiter an. Jeden Morgen, wenn wir aufgeweckt und weitergestoßen
wurden, gab es zwei oder drei neue Gefesselte. Nur die Frauen und Kinder
durften ohne Stangen um den Hals gehen. Nachts, wenn auch die Männer losgemacht
wurden, damit sie sich hinlegen und schlafen konnten, beobachteten die Wachen
jede Bewegung. An meinen Füßen wuchsen Blasen, sie schmerzten, wurden ledrig
und verschwielten. Nach einem langen Tagesmarsch zeigte mir Fomba seine
Fußsohlen. Sie waren gelblich, dick und zäher als ein Stück Ziegenleder, aber
auch trocken und voller Risse. Er blutete zwischen den Zehen. Ich brachte
Chekura dazu, uns etwas Sheabutter aus dem Dorf zu besorgen, und am Abend
darauf massierte ich sie in Fombas Füße ein. Fanta klackte missbilligend mit
der Zunge.
    »Tochter von Mamadu und
Sira, danke«, sagte Fomba.
    Ich wusste nicht, wer
seine Eltern waren, kannte auch seinen Familiennamen nicht. »Nichts zu danken,
Fomba«, war alles, was ich darauf antwortete. Er lächelte und tätschelte mir
die Hand.
    »Tochter von Mamadu und
Sira, du bist ein guter Mensch.«
    Fanta klackte wieder.
    »Frau des Häuptlings«,
sagte Fomba und sah sie an. »Ohrenzieherin.«
    Ich brach in Lachen
aus. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich lachen musste. Fomba
lächelte, und selbst Fanta sah das Komische daran.
    »Ist da noch etwas
Sheabutter?«, fragte sie.
    Fomba rieb sie ihr in
die Fußsohlen, und sie versprach, ihn nie wieder am Ohr zu ziehen.
    Eines Tages
ging ich hinter einem der gefangenen Männer, der plötzlich ohne jede Vorwarnung
zur Seite sprang. Mir blieb keine Zeit, um zu reagieren, und mein

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