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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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informierte ein
kleinerer Artikel, der Parlamentsausschuss werde bald den Bericht einer Frau
»frisch aus Afrika« bekommen, welche die Sklaverei überlebt habe.
    Ich stand mit Hastings
vor der Tür des Raumes, in dem der Parlamentsausschuss tagte, und wartete. Ich
hatte keine Ahnung, was mich da drinnen erwartete und wie man mich behandeln
würde. Ich spürte den Herzschlag in meinem Hals und versuchte mich zu
beruhigen, indem ich an meinen Vater dachte und wie ruhig und sicher seine
Hände gewesen waren, wenn er Tee gekocht oder seinen Schmuck gemacht hatte. Ich
stellte mir seine tiefe, melodische Stimme vor, die besänftigend über den Ozean
herüberklang: Sei einfach so, wie du bist, und
erzähle von dem Leben, das du gelebt hast .
    Die Tür öffnete sich,
und ich wurde hereingerufen. Entlang der Wände des rechteckigen Raumes standen zehn
Stühle für Zeitungsleute und noch mal dreißig für Besucher. Sie waren alle
besetzt. Mein Stuhl stand allein auf einer Seite des langen Tisches, auf dessen
anderer Seite die Ausschussmitglieder saßen und mich erwartungsvoll ansahen. Es
waren zehn. Ich kannte nur William Wilberforce, der mich anlächelte und mit der
offiziellen Erklärung des weiteren Ablaufs begann, wie er mir bereits bekannt
war: Wilberforce würde mir Fragen stellen, und ich würde sie beantworten.
    Zunächst sollte ich
meinen Namen nennen und das Datum und den Ort meiner Geburt. Das tat ich.
    »Könnten Sie dem
Ausschuss bitte einige Angaben über die Umstände Ihrer Kindheit machen, Miss
Dee?«
    Er fragte mich, wie es
dazu gekommen sei, dass ich mit elf Jahren verschleppt worden war, und wie der dreimonatige
Marsch zur Küste verlaufen sei. Ich antwortete so detailliert wie möglich. Ich
erklärte, dass die Männer in den Gefangenengruppen mit Stangen
aneinandergejocht gewesen seien und man auf See die Toten, Halbtoten und
Widerspenstigen den Haien zum Fraß vorgeworfen habe. Als ich erzählte, wie sich
die Seeleute während der Überfahrt an den afrikanischen Frauen vergangen hatten
und dass selbst ich, als Kind, im Bett des Schiffsarztes hatte schlafen müssen,
wurde es unruhig im Raum.
    »Und was sagen Sie zu
der hier vor dem Ausschuss gemachten Aussage, Männer und Frauen würden an den
Sklavenumschlagplätzen an der afrikanischen Küste nicht mit Brandzeichen
versehen?«, fragte Wilberforce.
    »Das ist falsch«, sagte
ich.
    »Und woher wissen Sie
das?«
    »Weil auch ich dort war
und man mir ein Zeichen eingebrannt hat.«
    »Wo genau waren Sie?«
    »Das war etwa 1756. Ich
habe das Brandzeichen auf Bance Island vor der Küste von Sierra Leone
bekommen.«
    Wieder erhob sich
Gemurmel. Wilberforce bat mich, das noch einmal für das Protokoll zu
wiederholen, und ich tat es.
    »Woher wissen Sie den
Namen der Insel, denn damals haben Sie doch sicher noch kein Englisch
gesprochen?«
    »Ich bin vor einigen
Jahren dorthin zurückgekehrt, mit Hilfe eines Vertreters der Sierra Leone
Company.«
    »Darf der Ausschuss,
wenn es nicht zu taktlos ist, erfahren, wie man Ihnen das Zeichen eingebrannt
hat?«
    »Mir wurde ein
glühendes Eisen ins Fleisch gedrückt.«
    Eine Frau verließ den
Raum.
    »Soll ich Ihnen das
Brandzeichen zeigen?«, fragte ich. Die Abolitionisten hatten mir gesagt, ich
solle dem Ausschuss dieses Angebot auf jeden Fall machen.
    »Wo befindet es sich?«,
fragte Wilberforce.
    »Über meiner rechten
Brust, Sir.«
    Ein kollektives
Nach-Luft-Schnappen war zu hören, dazu das Kratzen von Federn über Papier.
    »Muss ich es zeigen,
Sir?«
    »Das wird nicht nötig
sein, da Sie unter Eid stehen«, sagte der Protokollführer.
    Ich beschrieb, wie ich
in Charles Town verkauft und wie mir mein Sohn genommen worden war. Ich
erzählte auch von Mays Geburt 1784, und wie sie mir in Shelburne in
Neuschottland gestohlen worden war.
    Meine Befragung dauerte
zwei Stunden. Als man wissen wollte, ob ich etwas für den Ausschuss vorbereitet
habe, was dieser in Ruhe studieren könne, legte ich ein Exemplar meiner
Lebensgeschichte auf den Tisch.
    Nach Ende der Sitzung
brachten mich die Abolitionisten in einen privaten Raum, wo ich gebeten wurde,
den Zeitungsleuten meine Brandnarben zu zeigen. Zehn Männer traten vor, einer
nach dem anderen, um den Beweis in meinem Fleisch zu sehen. Sie wollten mir Fragen
stellen, doch Wilberforce bestand darauf, dass es für diesen Tag genug sei, und
verwies sie auf ihre Notizen zu meiner Aussage.
    Als es vorbei war und
Wilberforce und Hastings mit mir in eine Kutsche kletterten, fühlte

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