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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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die
bekannten Schmerzen in meinen Knochen aufstiegen.
    Ich hob einen Finger,
zu mehr hatte ich keine Kraft. Ich wollte nur drei Dinge: eine Decke, ein Glas
Wasser und niemanden außer mir, der meine Lebensgeschichte aufschrieb. Aber ich
war nicht fähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Und dann standen lauter
Männer mit dicken Backen, langen, buschigen Koteletten und besorgten Augen über
mich gebeugt.
    »Ist alles in
Ordnung?«, fragte Hastings.
    Ich schloss die Augen
und hörte John Clarksons Stimme.
    »Natürlich nicht«,
sagte er. »Ich habe Ihnen vorher gesagt, dass dieses Treffen verfrüht ist, und
ich fürchte, ich muss jetzt darauf bestehen. Sie ist mein Gast und steht unter
meiner Obhut, und sie wird erst wieder vor diesem Komitee erscheinen, wenn sie
jede Gelegenheit hatte, sich in meinem Haus zu erholen.«
    Ich wurde die Treppe
hinunter und aus der Tür der Old Jewry Street 18 getragen, in eine Kutsche
gesetzt und zu Clarksons Haus gebracht, das ebenfalls in der Old Jewry Street
lag. Ein schwarzer Butler öffnete die Tür, fing mich auf, als meine Knie
nachgaben, und brachte mich in ein Gästezimmer mit einem Bett und warmen
Decken, wo ich eine heiße Brühe und einen Tee bekam. Als mir das Fieber das
Mark in den Knochen verbrannte, badete mich eine zweite schwarze Bedienstete
namens Betty Ann und legte mir nasse Tücher auf die Stirn.
    Ich erholte mich und
vermochte nach einer Weile wieder ohne Hilfe aufzustehen, meinen eigenen
Nachttopf zu leeren und mit John Clarkson und seiner Frau Susannah zu essen. Im
Anschluss an dieses erste gemeinsame Essen saßen wir in einem kalten Raum
beisammen, Decken um Leib und Beine gewickelt, und tranken Tee. Draußen waren
ein paar Flocken Schnee gefallen, und es war windig und nasskalt. Aber so übel
das britische Klima auch sein mochte, ich musste wieder aktiv werden, musste
hinaus und mich bewegen, wollte ich noch etwas leben.
    Trotz all der Verluste
meines Lebens konnte es die Einsamkeit, die ich in London verspürte, mit allem
aufnehmen, was ich bisher erlebt hatte. Ich war zu schwach, um mich an den
Schreibtisch zu setzen, aufzustehen und die Straßen Londons zu erkunden oder
mich mit den Abolitionisten zu treffen, und erst, als der Winter in den
Frühling überging und die Londoner Feuchtigkeit ihre beißende Kälte verlor,
verspürte ich neue Kraft in mir, begann mich wieder zu bewegen und gewann den
Glauben daran zurück, dass ich noch nicht zugrunde gehen sollte.
    Vom endlosen Grau
Londons umgeben, sehnte ich mich nach den Farben und dem Essen meiner Heimat.
Brot und Fleisch waren fade und kaum zu genießen, und ich fragte mich, wie ein
Volk, das über die Ozeane segelte und die Welt beherrschte, so wenig auf sein
Essen und dessen Zubereitung geben konnte.
    Die Londoner aßen kaum
Obst. Ich vermisste die Bananen, Limonen, Orangen und Ananas Sierra Leones,
ganz besonders den Malaguetta-Pfeffer, schrieb Debra und flehte sie an, mir
eine Sendung Gewürze zum Kochen zu schicken.
    Schwarze Menschen sah
ich abgesehen von Clarksons Butler und seinem Hausmädchen fast keine, und mit
denen war über kaum mehr als das Wetter und meine Gesundheit zu reden. Ich
wollte den Butler, einen kleinen Mann mit rasiertem Kopf namens Dante, fragen,
wo ich denn die Schwarzen Londons finden könne, doch er entwich mir immer
wieder. Als es mir endlich so weit besser ging, dass ich mehr Zeit außerhalb
des Bettes und im Haus verbringen konnte, suchte ich nach ihm und fand ihn
schließlich in der Küche.
    »Könnte ich Sie einmal
sprechen?«, fragte ich.
    »Entschuldigen Sie,
Madam, aber ich war gerade auf dem Weg aus dem Haus.«
    »Meena«, sagte ich.
»Nennen Sie mich ruhig Meena.«
    Er räusperte sich und
sah zur Tür.
    »Warum gehen Sie mir
aus dem Weg?«, fragte ich.
    »Es liegt mir fern, Sie
zu verletzen, Madam.«
    »Aber Sie nehmen sich
nie die Zeit, meine Fragen zu beantworten.«
    »Ich folge nur meinen
Anweisungen, das ist alles.«
    »Ihren Anweisungen?«
    »Mr Clarkson sagt, ich
soll nicht mit Ihnen sprechen.«
    »Warum denn das wohl
nicht?«
    »Sie sollen die
Möglichkeit haben, sich zu erholen und Ihren Bericht für das Komitee
vorzubereiten, ohne dabei gestört zu werden.«
    »Wie denn gestört?«
    Dante nahm den Hut ab,
rieb über einen Fleck und setzte ihn wieder auf.
    »Ich bin spät dran,
Madam.«
    »Wodurch gestört?«
    Dante sah ein weiteres
Mal zur Tür. Wir waren allein, niemand sonst war in der Küche. Er sprach so
leise, dass ich seine Worte kaum verstehen

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