Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
einfach sein.
Meine Vorbereitung auf 800 Kilometer Jakobsweg lief rund ein Jahr. Nach der Grundsatzentscheidung, im Falle des Endes meines befristeten Arbeitsvertrages die Zeit danach gut zu nutzen, begann ich, mein Lauftraining langsam zu steigern. Am Ende konnte ich zwei Stunden mit zehn Stundenkilometern traben und bestritt als Höhepunkt des Trainings Ende Mai in Koblenz den Halbmarathon in gut zwei Stunden. Dieses Niveau nahm ich dann Ende August mit auf den Weg. Konditionell bin ich, so vorbereitet, nie wirklich gefordert. Die Füße sind durch hunderte Trainingskilometer abgehärtet: An Blasen, Abkleben und an viel Bewegung sind sie gewöhnt. Außer Atem kommt man mit dieser Vorbereitung auf dem Camino nicht. Vor Entzündungen, Verletzungen oder sonstigem Ungemach ist man natürlich trotzdem nie gefeit. Um so mehr genieße ich das antrainierte Privileg, nicht zu leiden. Wer hier allerdings ohne jede körperliche Vorbereitung antritt, ist entweder naiv oder mutig. Es ist so schade, die Mitpilger mit schweren körperlichen Problemen leiden oder gar aufgeben zu sehen.
Ist das hier eine Geschichte, von der wir schonvorher wissen, wie sie ausgeht? Nein, denn die Berichte und eigenen Erlebnisse von scheiternden und leidenden Pilgern sind immer lebendig. Wer sich hier mit seinen Füßen anlegt, kann nur verlieren. Das sieht oft so aus, als ginge jemand barfuss auf glühenden Kohlen.
Der Camino führt uns heute auf Feldwegen durch Stoppelfelder und Weinberge. Mal auf, mal ab. Meine Beine sind lahm, aber bis auf die letzten fünf der heutigen 22 Kilometer tut nix weh. Am Ende sind es wieder die Fußsohlen - und der linke Fußrücken. Das wundert mich langsam, und ich mache mich auf die Suche nach dem Auslöser. Ich verstehe schließlich: Nachmittags, wenn die Füße angeschwollen sind, mache ich die Schnürung einfach zu eng! Ich mache den Schuh fortan deutlich weiter, und das war es. Nie wieder Schmerzen auf dem Fußrücken.
Die Landschaft ist wieder toskanisch, die Erde rötlich, dazu gibt es erdfarbene Töne und Ocker zu bewundern. In der Bäckerei eines mittelalterlichen Dorfes kaufe ich frühmorgens Trinkjoghurt und ein heißes, köstliches Schokocroissant frisch aus dem Ofen. Göttlich. Martin läuft seit gestern schon viel besser, traut sich aber vor Freude und Erleichterung zu viel zu und verdreht sich trotz Bandage ein paar Mal das Knie. Wir landen um 13 Uhr in Estella Lizarra. Ein hübsches 14.000-Einwohner-Städtchen in einem engen Tal. Martin findet letztmals sein transportiertes Gepäck in einem Hostal und schicktheute endlich die Hälfte mit einem Paket für 42 Euro zu einer Bekannten nach Frankreich. Ab morgen trägt er selbst.
Die vier Kanadierinnen von gestern Abend haben auch zu viel Gepäck dabei - eine sogar ihren großen Laptop! Sie sind mit einer gesunden Portion Naivität bezüglich der körperlichen Belastungen hier in Nordspanien angekommen und schicken ihr Übergepäck nun zwangsläufig Tag für Tag mit dem Gepäckservice voran. Mein Tipp an die Mädels: „Was Ihr in den vergangenen fünf Tagen nicht benutzt habt - wegschmeißen oder nach Hause schicken.“
Zur Verbesserung unseres Images (ich erinnere an den Scharfschützen-Fauxpas und den vernichtenden Blick der Mitpilgerin) waren Martin und ich heute in einer Kirche und einer Kapelle. Die Kirchengebäude hier am Camino sind fast alle mittelalterlich und wunderschön. Lediglich die Inneneinrichtung entspricht nicht immer dem mitteleuropäischen Kirchengeschmack. Sehr viel Gold glänzt hier. Ein Prunk, der heute gelegentlich kitschig wirkt, im Mittelalter und später vor Gläubigen und Ungläubigen aber sicher eine Menge Macht dargestellt hat.
Der Running-Gag des Tages: Gestern beim Abendessen habe ich auf die Frage, ob ich Fußoder Radpilger sei, spontan geantwortet: „Rikscha -und Martin ist mein Fahrer.“ Er fügt hinzu, ich sei sein Master, er nur der Knecht. „Da haben wirDeutschen große historische Erfahrungen“, gebe ich dazu. Die Sitznachbarn krümmen sich vor lachen. Daraus wird dann heute die Idee, dass jeder hier einen menschlichen Packesel, dabei haben sollte - einen „Packi“ für Gepäck, Massage, etc… Es heißt ja, dass Männer sieben Jahre alt werden -und danach nur noch wachsen. Da wollen wir zwei mal keine Ausnahme machen.
Hier in Estella ist die St. Andreas-Stiftung so freundlich, mir für 25 Euro ein prima Einzelzimmer mit Bad zu vermieten. Gracias. Die Wäsche trocknet bereits im Luftstrom eines
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