Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
hygienische Gründe sprechen klar dagegen. Nur weniger Jakobspilger sind nach guter alter Tradition mit treuen oder störrischen Vierbeinern unterwegs. Sie können sich auf dem Camino allerdings der ganzen Aufmerksamkeit ihrer Mitpilger und gegebenenfalls des Applauses ob ihres romantischen Auftritts sicher sein. Allerdings will es gut geplant sein, wo man das Tragtier dann über Nacht unterbekommt, denn mit Ställen und Futter sind die Herbergen heute kaum mehr ausgestattet.
Das Gegenteil zum altmodischen Eselpilger ist öfter zu sehen. Diese hochmodernen Digital-Pilger verlaufen sich auch nicht mehr: Manche nutzen die Routenplanung auf dem Smartphone und kommen per Sprachanweisung in der Herberge an. Das sieht dann aus, als hielten sie eine Wünschelroute vor sich und reißen überrascht den Blick vom Bildschirm, wenn der Minicomputer plötzlich sein „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“ in irgendeiner Sprache quäkt. Es gibt natürlich eine spezielle Jakobsweg-Software, lasse ich mich von einem der futuristischen Jakobspilger in die Geheimnisse der digitalen Sinnsuche einweisen. Ich vermute, dass dann nebenher noch in einem derunsozialen Netzwerke - wie ich diese seltsamen Exhibitionisten-Plattformen nenne - jeder Schritt einer großen Gruppe natürlich allerbester Freunde kundgetan wird. Ein bisschen gruselig. Wer Spiritualität sucht, findet die wahrscheinlich auch im Internet. Ich wollte nie Pilger kennen lernen, die morgens twittern: „Bin jetzt losgegangen.“
Martin blieb gestern Abend und heute leider verschwunden. Per Mail habe ich ihn heute Nachmittag erreicht. Er ist einen Ort vor mir. Wie es aussieht, werden wir uns womöglich nicht mehr sehen. Er hat seine Pläne offensichtlich spontan geändert und will nun doch noch Santiago erreichen und bis dahin die nächsten und letzten Tage nochmal so viel Strecke wie möglich machen.
Ich bin im ersten Moment ein bisschen enttäuscht. Ich hätte ihm wenigstens gern noch persönlich Adios gesagt nach drei Wochen gemeinsamen Pilgerns. Nichtsdestotrotz: „Buon Camino, Martin!“
Am Nachmittag bin ich erleichtert: Unsere ach so emotionale Finnin Katariina ist wieder aufgetaucht. Ich war schon in Sorge, denn vor zwei Tagen sind Miss Finnland und ich mal zusammen an einem Ortsrand an ein paar großen Tippis - also Indianerzelten - vorbeigekommen. Im Ernst. Als ich ihr mit ernster Miene erzähle, dass dort die einzigen eingeborenen Indianer am Camino leben, ist sie gleich begeistert und biegt im Ort zu dieser mystischen Kultstätte ab. Danach blieb sieverschwunden. Ich hatte nun große Sorge, dass sie fortan als erste und emotionalste finnische Squaw am Jakobsweg ihr Leben in einem Tippi fristen würde. Blond genug ist sie ja. Und ich wäre Schuld! Glück gehabt, sie ist wieder da. War wohl grad kein Indianer, der natürlich im Einklang mit der Natur und ausschließlich von Globuli lebt, im Dienst…
Kein Witz: Bei der Firma „Autoservicio Pili“ ist hier der erstaunlich gut sortierte Dorfladen untergebracht. Es war wohl kein anderes Schild für das Geschäft verfügbar. In Spanien kann man regelmäßig an kleinen und sogar großen Supermärkten vorbeilaufen, ohne sie auch nur zu bemerken. Werbung, Schilder oder Hinweise auf Eingangstüren finden sich oft überhaupt nicht. Hier sollen wohl nur Eingeweihte einkaufen, und nicht diese vielen störenden Fremden, wundern wir uns.
Im Autoservicio-Gschäfterl gibt es zum Glück keine Autoteile und neben allerlei Lebensmitteln auch Pilgerlotion gegen Blasen und Zwanzigstel-Lose für die berühmte „Loteria de Navidad“, der großen Weihnachtslotterie, bei der dieses Jahr 2,5 Milliarden Euro (!) ausgespielt werden. Hier gibt es die Losnummer 02646 zu kaufen, wie der Aushang anpreist. Ob das halbe Dorf bald Millionär ist? Wenn alle 20 Zwanzigstel hier verkauft werden, und Endnummer 02646 der Hauptgewinn wird, gibt es 20 Multimillionäre unter 100 Einwohnern. Wie das wohl ausgeht, wenn die lieben Verwandten,Nachbarn und die vielen besten Freunde davon Wind bekommen?
Im Laden herrscht babylonisches Sprachgewirr, das die Besitzerin mit erstaunlicher Gleichmütigkeit und Professionalität hinnimmt. Der Franzose spricht gewohnt stumpf einfach mit ihr französisch - wer wollte ihm das verdenken, der Italiener hängt einfach an jedes Wort ein -os an - und der Pole (ich hab gefragt!) versucht es mit etwas, das er mutmaßlich für Englisch hält. Jetzt bin ich an der Reihe und bei mir geht es wortlos. Ich kaufe nur eine
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