Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
wird ihr dann einsamer Weggefährte weiter machen, so auf sich allein gestellt?
Die Nacht wird dann lebhafter als erwünscht: Bettwanzenalarm! René hatte recht. Nacht für Nacht kommt jeder auf dem Camino in den Herbergen aufs Neue mit Pilgerhaut und Pilgerhaar in Kontakt. Wer in Reinlichkeitsfragen ein bisschen Etepetete ist oder sich pilgerromantische Wunschvorstellungen erhalten will, sollte die kommenden Zeilen vielleicht überspringen.
Als ich mitternachts zum Pieseln aufstehe, kann ich ja in meinem Einzelzimmer das Licht anknipsen. Auch ein kleiner Luxus, der den Schlafsaalpilgern vorenthalten ist - und dazu führt, dass so manches im Halbdunkel bleibt…
Ich jedenfalls entdecke bei Licht betrachtet zwei muntere Käferlein, die auf meinem Laken unterwegs sind. Rüde unterbreche ich ihren Pilgerzug über meine Bettwäsche: Ich zerdrücke die Freunde und sichere die Beweise im Taschentuch. Einer von ihnen ist voller Blut -vermutlich meins. Ich tippe auf Bettwanzen. Immerhin: Einen Biss oder Stich kann ich zunächst nicht feststellen. Die vielen Pilger, täglich neu in den fremden Betten, und die häufig schlechte Hygiene der spanischen Gastgeber fordern eben ihren Tribut. Ich wache in dieser Nacht noch ein paar Mal auf und kontrolliere mein Bett. Aber esbleibt bei zwei Tierchen, obwohl ich mir ganze Käferinvasionen im unruhigen Schlaf vorstelle. Ich fühle ich mich jetzt nicht wirklich behaglich. Gemütlich und erholsam ist anders.
Die hygienischen Verhältnisse auf dem Camino brauchen nicht beschönigt zu werden, alles andere wäre naiv: Stark frequentierte Herbergen und täglich wechselnde Gäste aus aller Welt treffen auf dem Jakobsweg nicht selten auf nachlässige oder überforderte Gastgeber. Das schnelle Geld mit den Pilgern lockt ebenso wie die Bequemlichkeit im Umgang mit normal westeuropäischen hygienischen Standards. Dazu kommen Unkenntnis und oft sicher auch Desinteresse. Das mag früher, bei erheblich weniger Pilgern aus aller Welt, anders oder besser gewesen sein, aber auf tägliche hundertprozentige Belegung über Monate hinweg sind allzu viele Herbergen einfach nicht vorbereitet. Man wünscht sich mehr als ein Mal die Standards und Qualitäten deutscher Jugendherbergen.
Fakt ist: Überall da, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, werden Hygiene und Sauberkeit vom Privat- zum Gemeinschaftsproblem. Die Pilger tragen dieses Problem wortwörtlich von Herberge zu Herberge, von Bett zu Bett, von Matratze zu Matratze, von Decke zu Decke und Kissen zu Kissen. Naive Pilgerromantik hilft hier nicht weiter: 365 Pilger im Jahr in einem Bett sind auch 365 potenzielle Infektions- und Übertragungsquellen. Türklinken, massenhaftbenutzte Küchen und Kochutensilien, dazu kommen südländische Temperaturen, laxe Kontrollen und Behörden.
Toiletten und Bäder werden nach unseren Erfahrungen nicht regelmäßig und gründlich gereinigt. Immer wieder fühle ich mich an das zweitgrößte Binnengewässer Südamerikas erinnert und schaue in den Pippi-Kacka-See. In Bars und Herbergen fehlt es oft an Toilettenpapier, Wasser, hygienischen Schaltern, Seife etc. Die Pilger selbst lassen es häufig ebenfalls an Reinlichkeit vermissen, haben zuweilen nicht einmal das nötigste Hygienewissen oder auch nur Seife dabei. Unwissentlich wird Ungeziefer wie Bettwanzen und Läuse von Schlafstätte zu Schlafstätte transportiert. Und so entpuppt sich mancher nächtliche Mückenstich als Hinterlassenschaft von Floh und Co.
Viele Pilger streicheln in naiver Tierliebe die zahlreichen Hunde und Katzen entlang des Caminos, um den dabei eingesammelten Floh wenige Stunden später im nächsten Herbergsbett wieder abzuliefern - und nur ein paar Stunden später rückt der nächste ahnungslose Schlafgast an. Bettwanzen sind in Hotelbetten sowieso weltweit auf dem Vormarsch. Ein Basisproblem in den Herbergen des Jakobsweges: In den meisten Herbergen gibt es keine Bettwäsche. Matratzen und Kissen bekommen keineswegs für jede Nacht frische, saubere Überzüge. Die mitgebrachtenSchlafsäcke oder Isomatten sind spätestens nach zwei, drei Nächten mit allem in Berührung gekommen, was da eben so kreucht und fleucht -und dann wird der Siff weitergetragen. Auch in Sachen Reinlichkeit ist der Camino eben eine Herausforderung. Wer sich darüber zuvor und unterwegs keine Gedanken macht, oder machen will, tut sich und seinen Mitpilgern keinen Gefallen.
Aber auch außerhalb der Herbergen fehlt es gelegentlich an Sauberkeit: An
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