Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
zusammen mit ihrem Mann aus ihrem Zuhause fliehen musste, ließ sich das Paar im benachbarten Südafrika nieder. Sie lebt inzwischen lange Jahre geschieden in Johannesburg und sieht nun einen erneuten drohenden Niedergang. Die wirtschaftliche Situation leide im neuen Südafrika unter zunehmender Korruption und politischer Unsicherheit, erzählt sie. Enteignungen mit demZiel, den weißen Teil der Bevölkerung aus dem Land zu treiben, drohten inzwischen überall. Die quirlige Afrikanerin arbeitet heute als Managerin im Kultur- und Musikbereich. Große Konzerte mit afrikanischen Musikern und landestypischer Musik sind das Spezialgebiet der Firma. Als Weiße muss sie sich von den inzwischen fast ausnahmslos schwarzen Regierungsbeamten allerdings immer wieder neue Bosheiten und rassistische Benachteiligungen gefallen lassen.
Die bepackten Menschen, die in Kolonne auf dem schmalen Camino entlang der Straße unterwegs sind, erinnern heute an die Bilder von Flüchtlingstrecks aus Kriegsgebieten. So ähnlich muss die Familie meiner Mutter im Ostpreußen des Jahres 1945 auf der Flucht vor den immer näher kommenden russischen Truppen inmitten der anderen Flüchtlinge ausgesehen haben. Laufen die Leute hier eigentlich auch vor etwas weg oder zu etwas hin? Flucht oder Suche? Oder einfach nur hin und weg? Ich hoffe nicht, dass hier allzu viele Mitpilger denken, dass Santiago ihr letzter Ausweg ist. Wunder oder einfach nur der Weg in ein neues Leben dauern bekanntlich immer etwas länger. Monotones Laufen hat aber zumindest so was Meditatives. Echt jetzt.
Es gibt immer wieder stolze Erzähler, die hier mit großen Gesten von ihrem soundsovielten Mal auf dem Jakobsweg berichten - es wird wohl bald je nach mitgeschlepptem Gepäckgewicht ein Camino-Leistungsabzeichenin Bronze, Silber und Gold verliehen - und mit der Zahl der Wiederholungen drauf, vermute ich dann immer wieder gern - und sehr zum Missfallen der Angeber. Wieso die Leute mehrmals in kurzen Abständen den ganzen Weg absolvieren, werde ich bis zuletzt nicht so richtig nachvollziehen können.
Das Ganze ein Mal komplett zu machen, ist wunderschön. Vor drei Jahren habe ich ja auch schon mal reingeschnuppert und bin Anfang Mai die letzten 130 Kilometer durchs frühlingshaft grüne Galicien gewandert. Damals sagte ich mir, dass bei Gelegenheit auch mal die ganzen 800 Kilometer fällig werden - wenn der liebe Gott mir denn mal Zeit und Gesundheit dafür geben sollte. Zu Saisonanfang in der ersten Maiwoche war damals sehr wenig los - und im Nachhinein bin ich heilfroh, nicht den echten Langzeitpilgern auf die Nerven gegangen zu sein. Es waren nämlich kaum welche unterwegs - die hätten ja dann im Februar / März losgelaufen sein müssen, und das ist eher selten. Mit Sorge sehe ich heute, nach 450 Kilometern in den Wanderschuhen, einem möglicherweise schwer überlaufenen Galicien entgegen. Ganz klar: Mit zu vielen Pilgern, mit dem Empfinden einer Massenveranstaltung, mit einer Prozession vor und hinter einem, macht das hier deutlich weniger Spaß. Im Sommer, im Juli und August, wenn Spanier, Italiener und Franzosen Ferien haben und der Jakobstag zusätzlich die fünfoderzehnfache Menge der Pilger anlockt, möchte ich hier nicht mal tot überm Zaun hängen. Zu einem herausfordernden Naturerlebnis, das man ja doch persönlich als etwas Besonderes empfindet, passen eben keine Pilgermassen. Da hätte ich Angst, dass sich jemand immer wieder nach mir umdreht, weil er glaubt, dass ich ihn verfolge.
Ab und zu sehe ich - nicht nur bei deutschen Pilgern - deutsche Bundeswehr-Ausrüstung im speziellen Camino-Einsatz - Rucksack und Hut werden gern genommen, wie es aussieht. Obwohl so manche Pilger Flecktarn-Muster oder uniformähnliche Pilgerkleidung aus dem Outdoor-Geschäft nicht so schön finden. Pilgern sei schließlich kein Krieg. Na ja, das kann man manchmal anders empfinden. Zumindest ist es für viele hier ein täglicher Kampf.
Immer wieder lustig: Wer als Pilger eine Bar voller Einheimischer betritt, wird intensiv gemustert. Manchmal wird es sogar für einen kaum merklichen Augenblick leiser. Hatten doch zuvor alle zwölf Gäste laut und gleichzeitig gegen die plärrende Wiederholung irgendeines Barcelona-Fußballspiels angeredet. Für den in diese perfekte spanische Provinz-Szenerie eindringenden Fremden fühlt sich das an, als betrete man in einem rosa Hosenanzug einen Rockertreff.
Eben habe ich die dritte Erinnerungsstelle an auf dem Camino gestorbene Pilger innerhalb
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