Ich habe mich verträumt
versuchen Sie es einfach und erzählen mir dann, wie es gelaufen ist, okay?“
„Sicher“, antwortete Julian düster.
Während der nächsten Stunde musste ich mir mehrfach auf die Lippen beißen, um nicht laut loszuprusten, und ich vermied es, Julian anzusehen, der gleichermaßen mit sich rang. Alles, was Lou sagte, klang blödsinnig, manchmal geradezu idiotisch. Es war, als würden wir in die Fünfziger zurückkehren. Verhalten Sie sich feminin und angemessen . Ich dachte daran, wie ich Callahan O’Shea zusammengeschlagen hatte. Wie feminin! So damenhaft! Kein Fluchen, kein Rauchen, und trinken Sie nie mehr als ein kleines Glas Wein, in dem ein Rest bleiben sollte. Lassen Sie den Mann sich stark fühlen. Geben Sie sich selbst so attraktiv wie möglich. Tragen Sie immer Make-up und Röcke. Seien Sie gesellig. Lächeln Sie. Lachen Sie, aber leise. Klimpern Sie mit den Wimpern. Backen Sie Kekse. Seien Sie gelassen und anmutig. Bitten Sie einen Mann um Hilfe und schmeicheln Sie ihm .
Würg.
„Zum Beispiel“, hob Lou erneut an, „sollten Sie in einen Baumarkt gehen. Dort werden Sie viele Männer finden. Tun Sie so, als wüssten Sie nicht, welche Glühlampe Sie nehmen sollen. Bitten Sie einen Mann um seine Meinung .“
„Ach, kommen Sie, Lou!“, platzte ich heraus. „Wer will schon mit einer Frau zusammen sein, die nicht mal allein eine Glühlampe kaufen kann?“
„Ich weiß, was Sie denken , Grace“, fuhr Lou seinen Singsang fort. „Sie denken: So bin ich doch gar nicht . Aber sehen wir der Wahrheit ins Gesicht: Ihr ‚Ich‘ funktioniert nicht, sonst wären Sie nicht in diesem Kurs . Habe ich recht?“
„Jetzt hat er uns“, gestand Karen mit einem Grinsen.
„Das war geradezu erniedrigend “, sagte ich und imitierte dabei Lous Sprechweise, als wir nach dem Kurs im Blackie’s saßen und Margaritas schlürften.
„Wenigstens ist es jetzt vorbei “, erwiderte Julian.
„Ach, hört auf, ihr zwei!“, forderte Kiki. „Irgendwie hat er ja recht. Hier steht“, sie hielt einen der Merkzettel hoch, „‚Wenn Sie in einem Lokal sind, straffen Sie Ihre Schultern, sehen sich langsam um und sagen zu sich selbst: Ich bin die begehrenswerteste Frau hier im Raum . Das wird Ihnen helfen, die nötige Selbstsicherheit auszustrahlen, um Männer auf sich aufmerksam zu machen.‘“ In voller Konzentration runzelte sie die Stirn.
„Ich bin die begehrenswerteste Frau hier im Raum“, zitierte Julian in gespielter Ernsthaftigkeit.
„Das Problem ist, dass das stimmt“, meinte ich und stieß ihm den Ellbogen in die Rippen.
„Zu schade, dass du nicht hetero bist“, kommentierte Kiki. „Dann könnten wir zusammen sein.“
„Wenn ich hetero wäre, dann wären Grace und ich schon verheiratet und hätten sechs Kinder“, entgegnete Julian galant und legte den Arm um mich.
„Ah“, meinte ich und legte meinen Kopf an seine Schulter. „Sechs Kinder? Ist das nicht ein bisschen viel?“
„Also, ich werde es versuchen“, verkündete Kiki. „Das ist ja unsere Hausaufgabe, richtig? Auf in den Kampf! Und übrigens bin ich die begehrenswerteste Frau hier im Raum. Ich strahle Selbstvertrauen aus.“ Sie lächelte, stand auf, ging zur Bar hinüber, verschränkte die Arme und lehnte sich über die Theke, sodass ihre Brüste vorquollen wie aufgegangener Dampfnudelteig.
Ein Mann wurde sofort aufmerksam. Er drehte sich zu ihr hin, lächelte anerkennend und sagte etwas.
Es war Callahan O’Shea.
Ich wurde rot. „Mist“, zischte ich. Hoffentlich erwähnte Kiki nicht den Kurs, denn zum einen würde Callahan dann wissen, dass ich keinen Freund hatte, und zum anderen … na ja … Und wenn Kiki mit Männern neu anfangen wollte, sollte sie vielleicht wissen, dass Callahan gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden war, oder? Und er sollte vielleicht wissen, dass sie sich bei Männern ein bisschen gaga benahm?
„Vielleicht sollte ich sie warnen“, raunte ich Julian zu, ohne den Blick von den beiden zu wenden. „Das ist mein Nachbar. Der Exhäftling.“ Ich hatte Julian von Callahans Vergangenheit erzählt.
„Ach, ich weiß nicht. Veruntreuung klang doch gar nicht sooo schlimm“, meinte Julian. „Aber ich fasse es nicht, dass du nicht erwähnt hast, was für ein heißer Typ der ist!“
„Tja, also …“ Ich brach ab. Kiki sagte etwas, Callahan antwortete, Kiki warf den Kopf zurück und lachte. Eines meiner Augen zuckte. „Ich … bin gleich zurück.“
Ich ging zur Bar und fasste Kiki leicht am Arm.
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