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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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ein wenig in der Bredouille, nicht wahr? Ein großes Mädchen wie ich läßt sich nicht so leicht entschädigen wie ein Feld mit Rüben …«
    Er stand auf.
    »Tja. Es stimmt also – du bist dumm. Eine niederschmetternde Erkenntnis.
    Komm, reich mir deinen Teller.«
    Er stand hinter mir.
    »Du triffst mich in einem Maße, wie du es dir nicht vorstellen kannst. Mehr noch, du läßt mich bluten. Aber, weiß Gott, ich bin dir nicht böse, ich schiebe es auf deinen Kummer.«
    Er stellte einen dampfenden Teller vor mich hin.
    »Aber es gibt trotzdem eine Sache, die ich nicht ungestraft durchgehen lassen kann, eine Sache nur …«
    »Was denn?« fragte ich und sah auf.
    »Rede bitte nicht von Rüben. Ich wette, du findest in zig Kilometern Umkreis keinen einzigen Rübenacker.«
    Der Schalk stand ihm ins Gesicht geschrieben, und er lächelte verschmitzt.
    »Mmh, schmeckt köstlich. Du wirst mich als Köchin vermissen, oder?«
    »Als Köchin, ja, aber ansonsten, danke. Du hast mir den Appetit nicht verdorben …«
    »Nicht?!«
    »Nein.«
    »Hast du mir einen Schrecken eingejagt!«
    »Es gehört mehr dazu, mich am Genuß dieser herrlichen Nudeln zu hindern.«
    Er stach mit seiner Gabel in die Nudeln und hob eine Menge zusammengeklebter Spaghetti hoch.
    »Mmmh, wie sagt man noch mal? Al dente …«
    Ich lachte.
    »Es gefällt mir, wenn du lachst.«
    Wir blieben lange Zeit sitzen, ohne ein Wort zu sagen.
    »Bist du verärgert?«
    »Nein, nicht verärgert, eher unschlüssig.«
    »Es tut mir leid.«
    »Weißt du, ich habe den Eindruck, etwas Unentwirrbares vor mir zu haben. Eine Art Knoten – von riesigen Ausmaßen …«
    »Ich woll…«
    »Sei still, sei still. Laß mich erzählen. Ich muß das alles erst einmal entwirren. Das ist sehr wichtig. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, aber du mußt mir zuhören. Ich muß jetzt an einem Faden ziehen, fragt sich nur, an welchem. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wo oder womit ich anfangen soll. Meine Güte, ist das kompliziert. Wenn ich am falschen Faden ziehe oder zu fest, besteht die Gefahr, daß der Knoten sich noch weiter zuzieht. Daß er sich so fest oder so unglücklich zuzieht, daß nichts mehr zu machen ist und ich betrübt von dir Abschied nehme. Denn, du sollst wissen, Chloé, mein Leben, mein ganzes Leben ist wie diese geschlossene Faust. Ich sitze hier vor dir in dieser Küche. Ich bin fünfundsechzig. Ich bin zu nichts nutze. Ich bin dieser alte Kotzbrocken, den du vorhin aufgerüttelt hast. Ich habe nichts begriffen, ich bin nie in den sechsten Stock gefahren. Ich hatte Angst vor meinem Schatten, und jetzt sitze ich hier, in Gedanken an meinen Tod, und … Nein, ich bitte dich, unterbrich mich nicht. Nicht jetzt. Laß mich die Faust öffnen. Ein ganz kleines bißchen.«
    Ich schenkte uns nach.
    »Ich werde mit dem ungerechtesten, dem grausamsten Teil anfangen – das heißt mit dir.«
    Er hatte sich entspannt zurückgelehnt.
    »Als ich dich das erste Mal gesehen habe, warst du ganz blau. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war. Ich sehe dich vor mir in diesem Türrahmen hier. Adrien stützte dich, und du hast mir eine Hand hingestreckt, die vor Kälte gekrümmt war. Du konntest mich nicht begrüßen, du brachtest kein Wort heraus, ich habe dir als Willkommensgruß den Arm gedrückt, und ich sehe noch heute die weißen Flecken, die meine Finger auf deinem Handgelenk hinterlassen haben. Zu Suzanne, die schon ganz aufgelöst war, hatte Adrien lachend gesagt: ›Ich habe euch eine Schlümpfin mitgebracht!‹ Dann hat er dich nach oben getragen und in ein heißes Bad versenkt. Wie lange du darin geblieben bist? Ich weiß es nicht mehr, ich weiß nur noch, daß Adrien ständig zu seiner Mutter sagte: ›Ganz ruhig, Mama, ganz ruhig! Sobald sie gar ist, können wir essen.‹ Schließlich hatten wir Hunger, ich jedenfalls. Und du kennst mich ja, du weißt ja, wie so ein alter Kotzbrocken ist, wenn er Hunger hat … Ich wollte gerade den Befehl geben, ohne euch zu Tisch zu gehen, als du herunter kamst, mit nassen Haaren und schüchternem Lächeln in einem alten Bademantel von Suzanne.
    Dieses Mal waren deine Wangen rot, rot, rot.
    Beim Essen habt ihr uns dann erzählt, daß ihr euch in der Kinoschlange für Ein Sonntag auf dem Lande getroffen habt und nicht mehr reingekommen seid und daß dir Adrien, der Aufschneider – das liegt in der Familie –, genau das vorgeschlagen hat, einen Sonntag auf dem Lande, dort vor seinem Motorrad. ›Das ist ein einmaliges Angebot‹,

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