Ich habe sie geliebt
hatte er gesagt und du hattest eingewilligt, was deinen fortgeschrittenen Zustand der Erfrierung erklärte, da du in T-Shirt und Regenjacke aus Paris weggefahren warst. Adrien verschlang dich mit den Augen, was nicht ganz einfach für ihn gewesen sein muß, denn du hieltest die ganze Zeit über den Kopf gesenkt. Ein Grübchen war zu sehen, wenn er von dir sprach, wir stellten uns daher vor, daß du uns anlächelst. Ich erinnere mich auch noch, daß du ausgefallene Turnschuhe anhattest …«
»Gelbe Converse, stimmt!«
»Natürlich stimmt’s. Darum – du kannst gerne über die Turnschuhe schimpfen, die ich Lucie gekauft habe. Ach ja, das muß ich ihr noch erzählen. Hör nicht auf sie, mein Schatz, als ich deine Mutter kennengelernt habe, trug sie gelbe Turnschuhe mit roten Schnürsenkeln.«
»Du erinnerst dich noch an die Schnürsenkel?«
»Ich erinnere mich an alles, Chloé, an alles, hörst du? Die roten Schnürsenkel, das Buch, das du am nächsten Tag unterm Kirschbaum gelesen hast, während Adrien an seiner Maschine herumschraubte.«
»Wie hieß es?«
» Garp und wie er die Welt sah , stimmt’s?«
»Genau.«
»Ich weiß noch, daß du Suzanne angeboten hast, die Treppe zu dem alten Keller vom Gestrüpp zu befreien. Ich erinnere mich noch an die begeisterten Blicke, die sie dir zuwarf, als sie sah, wie du dich mit den Brombeersträuchern abgerackert hast. Darin stand in blinkender Leuchtschrift ›Schwiegertochter? Schwiegertochter?‹ zu lesen. Ich bin mit euch zum Markt von Saint-Amand gefahren, du hast einen Ziegenkäse gekauft, und wir haben vor Ort einen Martini getrunken. Du hast einen Artikel gelesen, ich glaube über Andy Warhol, während wir uns am Flipper ausgetobt haben, Adrien und ich.«
»Nicht zu fassen, wie kommt es, daß du dich an das alles erinnerst?«
»Ähh – ich will mich damit nicht brüsten – es war eins der wenigen Male, daß wir etwas gemeinsam hatten.«
»Du meinst, du und Adrien?«
»Ja.«
»Ja.«
Ich stand auf, um den Käse zu holen.
»Nein, nein, keine neuen Teller, das ist nicht nötig.«
»Doch doch, ich weiß, daß du es haßt, den Käse vom gleichen Teller zu essen.«
»Daß ich es hasse? Ach ja – so ist es – noch so ein Spleen von diesem alten Kotzbrocken, nicht wahr?«
»Äh, ich glaube schon.«
Mit einer Grimasse hielt er mir den Teller hin.
»Biest.«
Grübchen.
»Ich erinnere mich natürlich auch an eure Hochzeit … Du gingst an meinem Arm und sahst wunderschön aus. Du hattest dir den Knöchel verstaucht. Wir überquerten gerade den Platz von Saint-Amand, als du mir ins Ohr flüstertest: ›Du solltest mich entführen, dann würde ich diese verfluchten Schuhe aus dem Autofenster werfen, und wir könnten Chez-Yvette-Muscheln essen …‹ Von diesem Scherz war mir richtig schwindlig geworden. Ich zupfte an meinen Handschuhen. Hier, nimm dir zuerst.«
»Erzähl weiter, erzähl weiter …«
»Was soll ich dir sonst noch erzählen? Ich erinnere mich, daß wir uns einmal unten im Café bei mir auf der Arbeit verabredet hatten, weil du mir einen Vorlegelöffel oder etwas in der Art zurückgeben wolltest, was Suzanne dir geliehen hatte. Ich muß dir an diesem Tag unerträglich vorgekommen sein, ich stand unter Zeitdruck, hatte allerhand Sorgen … Ich bin gegangen, bevor du deinen Tee ausgetrunken hattest. Ich habe dir Fragen zu deiner Arbeit gestellt und mir die Antworten wahrscheinlich nicht angehört, na ja, so war es … Und dann, am selben Abend, bei Tisch, als Suzanne mich gefragt hat: ›Gibt’s was Neues?‹, habe ich ihr, ohne es selbst zu glauben, geantwortet: ›Chloé ist schwanger.‹ ›Hat sie es dir gesagt?‹ ›Nein. Ich bin auch gar nicht sicher, daß sie es selbst schon weiß …‹ Suzanne hatte mit den Schultern gezuckt und die Brauen hochgezogen, aber ich hatte recht. Wenige Wochen später habt ihr uns die Neuigkeit verkündet.«
»Wie hast du es erraten?«
»Ich weiß nicht. Es kam mir so vor, als hätte sich deine Gesichtsfarbe verändert, als hätte deine Müdigkeit eine andere Ursache.«
»…«
»Ich könnte noch lange so fortfahren. Du siehst, daß du ungerecht bist. Was hast du noch gesagt? Daß ich mich die ganze Zeit über, all die Jahre, nicht für dich interessiert hätte – oh, Chloé, ich hoffe, daß du dich schämst.«
Er sah mich streng an.
»Hingegen bin ich ein Egoist, in diesem Punkt hast du recht. Ich sage, daß ich nicht will, daß du gehst, weil ich nicht will, daß du gehst. Ich denke an mich. Du
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