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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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mich keine Sorgen. Du läßt dir wegen niemandem graue Haare wachsen.«
    »Das stimmt, du hast recht. Ich bringe es nicht über mich.«
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß nicht. Weil mich die anderen nicht interessieren, nehme ich an …«
    »… außer Adrien.«
    »Wieso Adrien?«
    »Ich denke an ihn.«
    »Du machst dir Sorgen um Adrien?«
    »Ja, ich glaube schon – ja. Um ihn mache ich mir jedenfalls am meisten Sorgen.«
    »Warum?«
    »Weil er unglücklich ist.«
    Ich fiel aus allen Wolken.
    »Also, das ist doch der Gipfel! Er ist überhaupt nicht unglücklich. Ganz im Gegenteil, glücklich ist er! Er hat eine ramponierte und langweilige Frau gegen ein unverbrauchtes junges Mädel eingetauscht. Jetzt ist sein Leben viel lustiger, weißt du.«
    Ich krempelte einen Ärmel hoch.
    »Überhaupt, wie spät ist es eigentlich? Viertel vor zehn? Wo er wohl gerade ist, unser kleiner Märtyrer? Im Kino oder im Theater? Oder irgendwo zum Essen? Sie haben bestimmt schon die Vorspeise hinter sich. Er krault ihre Handfläche und träumt von später. Achtung, die Hauptspeise kommt, sie zieht die Hand zurück und erwidert sein Lächeln. Vielleicht sind sie auch im Bett. Was ja wohl am wahrscheinlichsten ist, oder? Am Anfang macht man das oft, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Du bist zynisch.«
    »Reiner Selbstschutz.«
    »Was immer er tut, er ist unglücklich.«
    »Durch meine Schuld, willst du damit sagen? Ich verderbe ihm das Vergnügen? Nein, wie undankbar.«
    »Nein. Nicht durch deine, durch seine eigene Schuld. Das Leben ist schuld, das nicht macht, was man von ihm verlangt. Unsere Anstrengungen sind lächerlich …«
    »Du hast recht, der arme Schatz.«
    »Du hörst mir nicht zu.«
    »Nein.«
    »Warum hörst du mir nicht zu?«
    Ich biß in mein Baguette.
    »Weil du eine Planierraupe bist, du machst alles platt, was sich dir in den Weg stellt. Meine Sorgen – ja, was eigentlich? – belasten, ja nerven dich höchstens, das weiß ich. Und dann die Sache mit den Blutsbanden … Diese bescheuerte Vorstellung. Du warst völlig unfähig, deine Bälger in den Arm zu nehmen, ihnen auch nur ein einziges Mal zu sagen, daß du sie lieb hast, aber davon einmal abgesehen weiß ich, daß du sie immer verteidigen wirst. Egal, was sie sagen, egal, was sie tun, sie haben immer recht gegenüber uns anderen, uns Barbaren. Uns, die wir nicht den gleichen Namen tragen wie ihr.
    Man sollte meinen, daß dir deine Kinder nicht viel Anlaß zur Zufriedenheit gegeben haben, aber du bist der einzige, der sie kritisieren darf. Der einzige! Adrien hat sich davongemacht und mich mit den Mädchen sitzen lassen. Gut, das ist dir nicht recht, aber ich hoffe nicht mehr darauf, aus deinem Mund ein paar strenge Worte zu hören. Ein paar strenge Worte – das würde nichts ändern, aber es würde mir guttun. So guttun, wenn du wüßtest … Ja, das ist kleinlich. Ich bin kleinlich. Aber ein paar deutliche Worte, ein paar harsche Worte, wie du sie so gern von dir gibst. Warum nicht an seine Adresse? Das hätte ich verdient. Ich warte auf das Urteil des Patriarchen, der den Vorsitz am Tisch führt. So viele Jahre schon habe ich miterlebt, wie du die Welt in zwei Hälften teilst. Die Guten und die Schlechten, diejenigen, die deine Achtung verdienen, und die, die sie nicht verdienen. So viele Jahre schon, daß ich dein Geschwätz über mich ergehen lasse, deine Autorität, deine Kommandeursfratze, dein Schweigen … Die ganze Palette. Die ganze Palette … All die Jahre, die du uns auf den Geist gegangen bist, Pierre.
    Du weißt, ich habe ein schlichtes Gemüt, und es ist mir ein Bedürfnis, daß du sagst: Mein Sohn ist ein Dreckskerl, und ich entschuldige mich bei dir. Ich brauche das, verstehst du?«
    »Zähle nicht auf mich.«
    Ich räumte die Teller ab.
    »Ich habe nie auf dich gezählt.«
    »Möchtest du einen Nachtisch?«
    »Nein.«
    »Du möchtest nichts?«
    »Es ist also schiefgelaufen. Ich habe wohl am falschen Faden gezogen.«
    Ich hörte ihm nicht mehr zu.
    »Der Knoten hat sich noch stärker zugezogen, und wir haben uns weiter denn je voneinander entfernt. Ich bin also ein alter Kotzbrocken, ein Monstrum … Und was noch?«
    Ich holte den Lappen.
    »Und was noch?!«
    Ich sah ihm direkt in die Augen.
    »Hör zu, Pierre, ich habe jahrelang mit einem Mann zusammengelebt, der nichts zustande brachte, weil sein Vater ihn niemals richtig unterstützt hat. Als ich Adrien kennengelernt habe, traute er sich nichts zu, aus Angst, seinen Vater zu enttäuschen. Und

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