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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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alles, was er unternahm, deprimierte mich, weil er es nie für sich tat, sondern für dich. Um dich zu beeindrucken oder dich zu ärgern. Dich zu provozieren oder dir Freude zu bereiten. Es war rührend. Ich war kaum zwanzig und habe ihm mein ganzes Leben geopfert. Um ihm zuzuhören und den Nacken zu streicheln, als er sich mir endlich anvertraut hat. Ich bereue nichts. Ich hätte sowieso nicht anders gekonnt. Ich hielt es nicht aus, daß ein Junge wie er sich in dem Maße schlechtmacht. Wir haben Nächte damit verbracht, alles auseinanderzuklamüsern und zu analysieren. Ich habe ihn aufgerüttelt. Ich habe ihm tausendmal gesagt, daß seine Geschichte zu einfach ist. Daß es zu einfach ist! Wir haben Vorsätze gefaßt und haben sie mit Füßen getreten, wir haben neue gefaßt, und schließlich habe ich mit dem Studium aufgehört, damit er seins wieder aufnehmen konnte. Ich habe die Ärmel hochgekrempelt und ihn drei Jahre lang an der Uni abgesetzt, um meine Zeit im Untergeschoß des Louvre totzuschlagen. Es war eine Abmachung zwischen uns: Ich würde mich nicht beklagen, vorausgesetzt, er spräche nicht mehr von dir. Ich will mich damit nicht brüsten. Ich habe ihm nie gesagt, daß er der Beste sei. Ich habe ihn einfach geliebt. Ge-liebt. Verstehst du, wovon ich rede?«
    »…«
    »Dann verstehst du wahrscheinlich auch, warum ich heute so schwer daran trage.«
    Ich wischte mit dem Lappen um seine Hände, die auf dem Tisch lagen.
    »Sein Selbstvertrauen ist zurückgekehrt, der verlorene Sohn hat sich gemausert. Er hat das Steuer in die Hand genommen wie ein Großer, und jetzt verläßt er sogar seine Alte unter den zärtlichen Blicken des bösen Herrn Papa. Du mußt zugeben, das ist ganz schön hart, oder?«
    »…«
    »Du sagst nichts?«
    »Nein. Ich gehe schlafen.«
    Ich stellte die Maschine an.
    »In Ordnung, gute Nacht.«
    *
    Ich biß mir auf die Lippen.
    Schrecklichere Dinge behielt ich für mich.
    Ich nahm mein Glas und setzte mich aufs Sofa. Ich zog die Schuhe aus und kauerte mich unter den Kissen zusammen. Ich stand wieder auf und holte die Flasche, die noch auf dem Tisch stand. Ich schürte das Feuer, löschte das Licht und begrub mich erneut.
    Ich bereute es, noch nicht betrunken zu sein.
    Ich bereute es, dazusein.
    Ich bereute … Ich bereute so viele Dinge.
    So viele Dinge.
    Ich legte den Kopf auf die Lehne und schloß die Augen.

»Schläfst du?«
    »Nein.«
    Er schenkte sein Glas voll und setzte sich auf den Sessel neben mich.
    Der Wind blies noch immer. Wir saßen im Dunkeln und betrachteten das Feuer.
    Von Zeit zu Zeit nahm einer von uns einen Schluck, und der andere tat es ihm nach.
    Es ging uns nicht gut und nicht schlecht. Wir waren müde.
    Nach einer Weile sagte er:
    »Weißt du, ich wäre nicht so, wie du mich siehst, wenn ich mutiger gewesen wäre.«
    »Pardon?«
    Ich bereute es schon, ihm geantwortet zu haben. Ich wollte über diesen ganzen Schlamassel nicht mehr reden. Ich wollte in Ruhe gelassen werden.
    »Man redet immer vom Kummer derer, die verlassen werden, aber hast du schon einmal an den Kummer dessen gedacht, der geht?«
    O je, dachte ich, was wird er mir jetzt wieder für Theorien an den Kopf werfen, der alte Knacker?
    Ich suchte mit den Augen nach meinen Schuhen.
    »Laß uns morgen darüber sprechen, Pierre, ich will … Ich habe die Schnauze voll.«
    »Den Kummer dessen, der das Unglück auslöst. Diejenigen, die bleiben, bedauert man, die tröstet man, aber diejenigen, die gehen?«
    »Aber was wollen sie denn noch«, brauste ich auf, »eine Krone, ein Wort der Ermutigung?!«
    Er hörte mir nicht zu.
    »Den Mut dessen, der sich eines Morgens im Spiegel betrachtet und klar und deutlich zu sich selber sagt: ›Habe ich das Recht, mich geirrt zu haben?‹ Nur diese wenigen Worte … Den Mut, dem Leben ins Auge zu sehen, nichts zu finden, das paßt, das harmonisch ist. Den Mut, alles kaputtzuschlagen, alles zu verwüsten aus – aus Egoismus? Aus reinem Egoismus? Nein, und doch – was ist es eigentlich? Überlebensinstinkt? Klarsicht? Todesangst?
    Der Mut, sich zu behaupten. Wenigstens einmal im Leben. Die Stirn zu bieten. Den Kopf hinzuhalten. Ganz allein. Endlich.
    ›Das Recht, sich geirrt zu haben‹, ein ganz harmloser Ausdruck, ein ganz kurzer Satz nur, aber wer gesteht es dir zu?
    Wer außer dir selbst?«
    Seine Hände zitterten.
    »Ich habe es mir nicht zugestanden. Ich habe mir überhaupt keine Rechte zugestanden. Nur Pflichten. Und was ist aus mir geworden: ein alter

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