Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
echtes Lächeln. »Dir ist klar, dass das alles Scheißkerle sind, oder?« Und als ich mich zum Gehen wende, gibt sie mir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
Ich nehme ein Taxi und lasse mich an einem kleinen Durchgang absetzen, der zum Kanal führt. Als ich zum Wasser komme, bietet sich mir ein unglaubliches Bild. In all den Jahren, die ich nun schon hier wohne, habe ich auf dem Fußweg nie mehr als zwei, drei Spaziergänger mit Hund und hin und wieder einen Fuchs gesehen. Jetzt drängen sich hier bestimmt vierzig Leute. Polizisten, aufgescheuchte Anwohner und Reporter wuseln um Fernsehkameras, ein Polizeiboot und ein Scheinwerfergerüst herum, wie wir es auch im Studio haben. Durch das Getümmel schiebt sich eine Frau in hohen Gummistiefeln, die ein Tablett mit Teetassen balanciert. Die Gräser und Wildblumen am Wegesrand sind zu grünem Matsch zertrampelt; knatternde Polizeifunkgeräte und das dunkle Stampfen des Motorboots zerstören die Ruhe, die sonst über dem Wasser liegt. Ein Taucher kommt an die Oberfläche; an seinen Armen hängt Wassergras, und eine Horde Kinder begrüßt ihn mit lautem Hallo. Da holen sie längst versunkene Geheimnisse ans Licht. Auf der anderen Seite des Kanals erkenne ich zwischen den noch ziemlich kahlen Bäumen unseren Schuppen, unseren Garten, Avas Spielhaus, den Tisch auf unserer Terrasse, den Grill und unser Haus. Ich sehe die Kameras schwenken, auf Schlafzimmer und nicht zugezogene Vorhänge zoomen. Die Invasion ist in vollem Gange. Ich sehe Declan vom Express mit zwei jungen Männern reden und beschließe, lieber vornherum zu gehen. Schnell ziehe ich mich in den Durchgang zurück, gehe über die Brücke und biege in unsere Straße ein, wo ich mit gesenktem Kopf den Spießrutenlauf zwischen all den Reportern hindurch absolviere.
Es kommt mir vor, als wäre ich vor hundert Jahren das letzte Mal in diesem Haus gewesen und nicht vor ein paar Stunden. Ich schließe die Tür hinter mir und seufze erleichtert, weil ich meine, jetzt vor dem Ansturm sicher zu sein, doch als ich meinen Mantel ausziehe und aufhänge, trifft mich ein heftiger Stoß in den Rücken. Ich werde gegen die Wand geschleudert, meine Tasche fällt herunter und trudelt ein Stück über die Dielen. Ich fahre herum und kann mich gerade noch ducken. Pauls Faust trifft die Wand.
»Wie konntest du mir das antun? Hast du wirklich gedacht, ich hätte sie umgebracht?«, ruft er wieder und wieder. »Jeder andere, jeder! Aber du?« Sein Gesicht ist völlig verzerrt vor Wut. Zum ersten Mal sehe ich ihn die Kontrolle verlieren – wirklich verlieren. Wieder schlägt er gegen die Wand, und ich haste in die Küche, zur Hintertür – wo mir klarwird, dass es dort draußen keine Rettung gibt. Wie wäre das? Wir prügeln uns im Garten, und alle Fernsehstationen des Landes filmen uns dabei? Ich schließe die Tür auf, obwohl ich doch genau weiß, dass ich da nicht rausgehen werde. Ich drehe mich um, und im nächsten Moment wirft Paul mich zu Boden. Als ich auf die kalten Fliesen aufschlage, sehe ich das grinsende Gesicht von Lex vor mir. Wir könnten die Stars eines seiner Reality-TV-Projekte sein, uns bis zum Äußersten entblößen, öffentlich zur Schau stellen, wie wir alles einreißen; zeigen, dass das perfekte Paar mit seinem wunderbaren Leben nichts als Fake ist – damit alle es sehen und morgen im Büro was zum Tratschen haben.
»Hör auf, Paul!«
»Glaubst du wirklich, ich hätte Melody umgebracht? Du! Du denkst, ich bin auch nicht besser als Gerry!«
Ich liege halb unter dem Küchentisch, an dem wir während unzähliger Familienmahlzeiten zusammengesessen haben. Auf die Unterseite der Tischplatte hat Ava spitze Berge gemalt, die sich in flauschige weiße Wolken bohren, und dazu eine Sonne mit dicken Strahlen über einer händchenhaltenden Strichmännchenfamilie, die durch das Tal wandert. Vater, Mutter und zwei Kinder. Unter diesem Baldachin, der die Liebe und Unschuld unserer Kinder zeigt, liegen Paul und ich nun und ringen miteinander.
Er drückt meine Arme auf den Boden.
»Lass mich los!«, schreie ich und winde mich.
»Wie konntest du uns das antun?«
Als sich seine Finger noch fester um meine Arme schließen, werde ich wütend. Wie er mir nach seinen ersten Lügen zugezwinkert hat, die fürchterliche Angst, die ich im Tunnel in Woolwich ausgestanden habe, was Eloide mir erzählt hat und der Schreck, als er nach mir geschlagen hat – das alles mischt sich zu einem tödlichen Cocktail. Ich
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