Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
Handy. Keine neuen Nachrichten. Sie können ihn bis zu zweiundsiebzig Stunden lang festhalten; erst dann müssen sie ihn entweder anklagen oder freilassen. Je länger sie ihn dabehalten, desto schlechter sieht es aus.
Wir treffen uns zu einem Gesamtdurchlauf für die Live-Sendung heute Abend. Normalerweise herrscht bei so etwas eine freudig erregte Atmosphäre, es wird gewitzelt und gelacht, denn wir sind dann Verbündete auf Teufel komm raus – aber heute ist die Stimmung im Studio trübselig. Selbst Marika in ihrem engen schwarzen Rock und den gigantischen weinroten High Heels kann die Laune der Leute nicht aufhellen. Sie redet in einer Ecke des Studios konzentriert mit dem Redakteur; offenbar streichen sie noch im Script herum.
Die Make-up-Künstler tigern herum und warten auf ihren Einsatz in wenigen Stunden. Chet, der Regisseur, steht oben auf der Galerie und ruft Kommandos herunter. »Marika! Rutsch auf dem Sofa etwas näher an Colin heran, so, dass eure Schultern sich fast berühren – es muss so aussehen, als wäret ihr ein echtes Team.« Für einen Moment zieht Colin Marika extra dicht an sich heran, aber sie haben beide nicht die Energie, den Spaß noch weiter zu treiben. Ich stehe an der Seite und fühle mich schuldig; so als würden mir alle Vorwürfe machen.
»Okay, Marika, jetzt versuchen wir’s mal mit der neuen Position!«, ruft Chet.
Sie nickt und greift nach ihrer Kaffeetasse. Normalerweise kommt sie erst zur Eröffnungsmusik lächelnd ins Studio, aber heute sitzt sie schon auf der Armlehne des Sofas; die Kamera zoomt auf ihr Gesicht, und die Scheinwerfer werden gedimmt.
»Wir wollen mit dieser Show das Verbrechen bekämpfen, wo immer es uns begegnet. Damit Sie und Ihre Familie sich in diesem Land sicherer fühlen können.« Sie legt eine Pause ein, schüttelt kaum merklich den Kopf. »Diese Woche rücken wir eine Tat in den Mittelpunkt, die wir aufklären müssen, denn es hat eine von uns getroffen. Die kreative Kraft hinter dieser Show, Melody Graham, ist ermordet worden.« Marika erhebt sich von der Sofaarmlehne, die Kamera bleibt dicht an ihr dran. »Zur Stunde wird unser eigener Geschäftsführer, Paul Forman, von der Polizei zu diesem Mord befragt. Aber es ist mir ein Anliegen, Ihnen zu sagen, dass wir bei Crime Time vollkommen unabhängig arbeiten; wir lassen uns, was unsere Sendung betrifft, weder vom Firmenmanagement noch von den Eigentümern hineinreden. Wir bringen für Sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.« Damit dreht sie sich zu Colin um, der jetzt zu einer großen Karte von dem Waldstück geht, in dem Melodys Leichnam gefunden wurde.
»Perfekt«, sagt Shaheena, und wir verfolgen, wie Marika Colin zu den großen Kreuzungen in der Nähe des Tatorts und zum zeitlichen Ablauf des Geschehens befragt. Jetzt sollten Astrid und all die anderen Möchtegern-TV-Sternchen gut zuhören und sich von der Queen des populären Fernsehens etwas abgucken.
Während der Durchlauf noch im vollen Gange ist, taucht Livvy hinter mir auf. »Noch nichts von Gerry?«
»Nein.« Ich habe den ganzen Vormittag über auf mein Handy geschaut, aber er hat sich nicht gemeldet.
»Was hab ich dir gesagt? Auf so einen Kerl kann man sich nicht verlassen.« Sie lächelt zufrieden. Niemand hat ihre Weltsicht erschüttert, indem er vielleicht Erwartungen im positiven Sinne erfüllt hätte. »Wir haben auch ohne ihn genug.« Sie nickt in Richtung eines großen Fotos von Melody, das wir in einer Einstellung als Hintergrund nutzen. Verlegen stehen wir nebeneinander; keine von uns spricht das Thema Paul an.
Kurz danach wendet sich Marika für die Schlusseinstellung ganz der Kamera zu. »Vergessen Sie nicht: Hier werden Ihre Beweise gesammelt, das ist Ihre Show.«
Laute Musik setzt ein und verklingt schnell wieder. Chet ruft: »Und das war’s!«
»Kaffee?«, fragt Shaheena. Ich nicke und stecke das Handy wieder weg. Shaheena späht zur Galerie hinauf. »Oh, oh. Der Oberchef redet mit Schwarze Wolke.«
Wir gehen nach oben, wo George – der Produzent, dem ich noch nie begegnet bin –, Livvy und ein Techniker sich um eine Tastatur geschart haben.
»Wie wär’s mit ›Diese Sendung ist dem Gedenken an Melody Graham gewidmet, 1984 bis …‹?«, fragt Livvy.
»Schmeißt das ›Gedenken an‹ raus«, knurrt George.
Ich sehe ihnen über die Schulter. »Ihr könntet sagen ›der Erfinderin von Crime Time ‹«, schlage ich vor.
»Wir machen’s ganz schlicht«, sagt er. »Wir schreiben: ›Diese
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