Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
»Ich gehe dann also. Bis später, ihr Lieben.«
Josh antwortet nicht, der Fernseher plärrt weiter. Ich überprüfe ein weiteres Mal den Inhalt meiner Handtasche und kontrolliere im Flurspiegel meine Zähne. Sie sind noch da.
Weil ich mich für hohe Hacken entschieden habe, gönne ich mir den Luxus einer Taxifahrt in die Stadt. Wir gleiten dahin, vorbei an Geschäften und Wohnhäusern, und ich beobachte eine alte Frau, die sich, gebeugt unter der Last ihrer großen Einkaufstasche, schwerfällig die Straße hinaufschleppt. Beschämt mache ich mir klar, wie verwöhnt ich bin, was für unglaubliches Glück ich hatte. Betrachte ich das jetzt schon als selbstverständlich?
Während ich mich noch mit dieser Frage herumschlage, merke ich, dass mein Handy vibriert. Eine Nachricht von Jessie. »Hatte soeben den besten Sex meines Lebens. Ruf mich an.«
Ich schiebe das Handy wieder in die Tasche und lege den Kopf zurück. Nachrichten dieses Inhalts habe ich von Jessie schon unzählige bekommen. Nichts ist sie so sehr wie unbeständig.
»Paul kann stolz sein …« Das lässt man sich sagen. Und ich bin stolz auf ihn, oder? Seine Schluchzer von Montagnacht klingen mir noch in den Ohren. Mit einem Mal fühlt sich der Autositz klebrig an, und die Luft, die durch das halb geöffnete Fenster hereinströmt, ist eiskalt. Noch hat es keine Erklärung gegeben, die meinen Grübeleien ein Ende gemacht hätte; das Karussell unangenehmer Gedanken setzt sich erneut in Gang. Paul und ich müssen reden. Ich wünsche mir Klarheit, und ich will mein schönes normales Leben zurück. Das Taxi hält, und ich kneife mich selbst in die Hand, um mich zu disziplinieren. Ich bin die Frau des Chefs, ich habe eine Rolle zu spielen, und das will ich gut machen.
8
I ch werde Paul drinnen treffen. Er hatte vorher noch ein Meeting, von dem er nicht genau wusste, wie lange es dauern würde. Unter normalen Umständen wäre das kein Problem gewesen, aber heute fehlt mir tatsächlich ein Arm zum Festhalten oder Verstecken. Etwas verloren stehe ich in der Schlange am Eingang, und dann fragt mich ein Türsteher, wer ich bin. An der Bar drängeln sich lauter lärmende Leute, die ich nicht kenne. Mein erster Rundgang ist schnell beendet; ich bleibe allein in der Nähe der Garderobe stehen.
»Kate, wie schön, dass du da bist!« Sergei rettet mich, ein ernst dreinschauender Russe Ende zwanzig. Er trägt einen schwarzen Anzug mit schwarzem Hemd und schwarzer Krawatte. Sergei liebt Schwarz. Und er leistet vorzügliche Arbeit, bewacht Paul wie ein Pitbull einen East-End-Dealer. Nach einem formvollendeten Küsschen auf jede Wange fragt er mich nach den Kindern, und zwar mit Namen. Und dann taucht Astrid auf.
»Hallo! Sind Sie nicht Pauls Frau?« Genau das Gleiche habe ich mit ihr schon zweimal durch, deshalb nicke ich nur und lächle unwillkürlich. Lex hat zwei Assistentinnen, Astrid ist eine davon. Paul und ich haben immer gewitzelt, dass Lex zwei Frauen zu seinen Diensten hat, weil eine allein für diesen Job gar nicht gut genug sein kann. Lex aber beharrt darauf, dass seine Macke Methode hat: Er stellt Möchtegern-TV-Sternchen ein und behauptet, dass seine besten Ideen nicht selten von seinen »Satellitenschüsseln« stammen.
»Ich bin Kate«, sage ich und lächle immer noch.
»Ach verdammt, natürlich! Ich kann mir einfach keinen Namen merken!« Astrid ist Australierin. Spielerisch boxt sie Sergei in den steinernen Bauch. Sie ist noch jung genug, um das silberne Top mit dem tiefen Rückenausschnitt ohne BH tragen zu können. »Los, wir besorgen uns was zu trinken!« Dann umarmt sie mich, legt eine duftende Wange an meine und nimmt mich bei der Hand. So marschieren wir hinüber in den Hauptteil des Gebäudes.
Die Persönlichkeiten von Lex und Paul spiegeln sich wunderbar in der Wahl ihrer jeweiligen Assistenten wider. Paul hat Sergei eingestellt, weil er keine Geschichten wollte, wie Lex sie seit Jahren durchsteht. So was Klischeehaftes kommt für mich nicht in Frage, sagt Paul, wer will schon bei der Arbeit ständig abgelenkt sein, weil er nur daran denkt, seine Sekretärin zu vögeln? – Mein Vater zum Beispiel, aber genug davon.
»Wusstest du, dass das hier mal ein Schlachthof war?«, fragt Sergei.
»Das habe ich gehört, ja. Tolle Räume.« Wir blicken beide hinauf zu der schönen Holzdecke, die sich über uns wölbt.
»Hat etwas von einer Kathedrale«, sagt eine Männerstimme hinter uns. Ich drehe mich um und entdecke John. Er hat den Kopf in
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