Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
vorkomme wie das fünfte Rad am Wagen. So werde ich auch Raiph Spencer vorgestellt. Ich habe im Laufe der Jahre so viel von ihm gehört und in den Medien so oft Bilder von ihm gesehen, dass er mir ganz vertraut erscheint, obwohl wir einander das erste Mal persönlich begegnen.
»Es ist mir eine Ehre.« Etwas zu überschwenglich schüttele ich ihm die Hand.
»Nach dem Essen werden Sie es vielleicht einen Fluch nennen«, gibt er zurück, und in seine blauen Augen schleicht sich ein Lächeln. Sein Gesicht ist übersät von dunklen Flecken – zu viel karibische oder mediterrane Sonne. Außerdem ist er kleiner und schmaler, als er im Fernsehen immer wirkt.
»Haben Sie die Zeit gefunden, sich Inside-Out anzuschauen?«, frage ich höflich.
»Das habe ich. Ich war ja mit Gerry zusammen in der Schule, wenn auch ein paar Jahre unter ihm. Die Serie war für mich hochinteressant.«
»Was ich hochinteressant finde, ist die Tatsache, dass zwei Leute aus demselben Stall zwei so unterschiedliche Wege einschlagen können.«
Raiph lacht. »Es ist wohl gerechtfertigt zu sagen, dass er und ich seit Generationen die berühmtesten Persönlichkeiten aus diesem Teil von Donegal sind.« Raiph hat einen leisen, vornehmen Charme, der gar nicht zu seinem Ruf passt, der Velociraptor der Wirtschaftswelt zu sein. Er rückt meinen Stuhl zurecht, und Paul strahlt zu mir herüber.
»Wohl eher berüchtigt als berühmt, oder?« Die Geschichte, wie Raiph vom Sohn eines irischen Schlachters zum Beinahe-Star der Reality-TV-Serie The Apprentice aufgestiegen ist, kennt inzwischen fast jeder.
»Meinen Sie jetzt Gerry und mich oder nur mich?«
Unwillkürlich lächelnd sage ich: »Ich weiß gar nicht, ob da so ein großer Unterschied besteht. Wobei es wahrscheinlich mehr Spaß macht, berüchtigt zu sein. Ist bestimmt ein bisschen aufregender.«
Darüber brütet Raiph überraschend lange. Er überlegt sich seine Antwort ganz genau. »Ich habe in meinem Leben, wie es jetzt ist, Aufregung genug. Noch einen Hauch mehr davon, und meine arme Pumpe steigt aus.« Er schlägt sich an die in edlem Zwirn steckende Brust. »Die Herausforderungen des Berüchtigtseins überlasse ich den Jungs von Forwood.«
Lex mischt sich in unser Gespräch. »Einen Mörder zum berühmten Mann zu machen – das war bislang die größte Herausforderung für mich.«
»Es lässt sich nicht leugnen, dass er für die Kamera ein Fest war«, ergänzt Paul. »Dem konnte sich niemand entziehen. Er war so komplett anders, als die Leute erwartet hatten. Daraus entsteht großes Fernsehen.«
»Auf großes Fernsehen!« Lex erhebt das Glas.
»Auf großes Fernsehen!« Wir stoßen alle an.
Sergeis Sitzordnung ist perfekt. Während der Vorspeise lausche ich einem lebhaften Mann namens Jethro, der eine lustige Geschichte über das Fotografieren von Hermelinen erzählt. Die Frau neben ihm gibt besonders indiskreten Klatsch über einen Rockstar zum Besten; etwas, das sie in einem Tonbearbeitungsraum aufgeschnappt hat. Gerade als ich mir vornehme, einen steif wirkenden Anzugträger zwei Plätze weiter ein wenig aufzuheitern, sehe ich, wie Lex sich zwischen den Tischen hindurch einen Weg zur Tür bahnt. Bestimmt will er eine rauchen. Ich entschuldige mich und gehe ebenfalls. Draußen sehe ich ihn mit Astrid und ein paar Leuten zusammenstehen, die ich nicht kenne. Er entdeckt mich, nickt mir zu und winkt mich heran.
»Kann ich eine schnorren? Ich versuche ständig aufzuhören, aber ich versage kläglich.« In Wahrheit habe ich seit Jahr und Tag nicht mehr geraucht.
»Klar doch. Du und ich!« In einer anzüglichen Geste streckt er mir sein Feuerzeug hin. Ich finde es schwierig, genau zu sagen, warum ich Lex nicht leiden kann. Natürlich, da sind die offensichtlichen Gründe. Er ist arrogant, eitel und selbstsüchtig, aber das ändert nichts daran, dass er allgemein beliebt ist, ganz besonders bei jüngeren Frauen. Ich weiß es einfach nicht und frage mich manchmal, ob ich insgeheim womöglich Angst habe; Angst, nicht in diese Kreise zu passen, nicht zu Paul; Angst, irgendetwas nicht mitbekommen zu haben.
Er grinst und stellt mich den anderen vor. Im Gegenzug werfe ich ihm einen wissenden Blick zu. »Montagabend war ganz schön heftig, wie ich gehört habe.«
Lächelnd bläst er einen Ring aus Rauch in die Luft. »Dazu kann ich auf keinen Fall etwas sagen. Das wäre ein Verstoß gegen die Verkehrsregeln.« Unter allen Sprüchen, die so typisch sind für die TV-Branche, ist dieser mir am
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