Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
den Nacken gelegt, sein Adamsapfel wirft einen Schatten über seinen Hals.
»Hallo, John«, sage ich. »Wie läuft’s? Du siehst gut aus.«
Seine Wange, auf die ich ein Küsschen drücke, ist hohl, die Haut grau.
Er nickt und lächelt matt, wie aus weiter Ferne. Dann hebt er sein Saftglas und sagt: »Guck mal, dort über der Bar hängen noch die alten Fleischerhaken.« Astrid schnaubt angewidert.
Immer wieder hat Paul mir von den Problemen seines Bruders erzählt, davon, wie schwer es ihm fällt, trocken zu bleiben, wie sehr er mit seinen Dämonen und Süchten zu kämpfen hat. Von seinem eisernen Willen. John hat meine Anerkennung, aber ich weiß nicht, ob ich ihn mag. Es ist, als stünde eine dünne Wand aus Ablehnung zwischen ihm und mir; zwischen ihm und der ganzen Welt. Paul empfindet ähnlich, aber John ist nun mal sein Bruder und fertig. John kümmert sich um die rechtlichen Angelegenheiten von Forwood TV. Paul hat ihn aus dem Sumpf des ewigen Scheiterns gezogen, trockengelegt – und eingestellt. Jeder andere hätte gezögert, hätte sich gescheut, ein solches Risiko einzugehen und so viel Zeit zu investieren, aber Paul ist nun mal nicht wie jeder andere. Er hat seinen ältesten Bruder nach dem Verkauf der Firma nicht die Böden wischen oder belangslose Büroarbeiten erledigen lassen, sondern mit der Überwachung wichtiger Verträge betraut. Man muss ihm nur Verantwortung übertragen, sagte er damals, und er wird funktionieren. Was er nicht aushält, ist Mitleid.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich völlig anderer Meinung war. Ich habe Paul unmissverständlich gesagt, dass damit die Katastrophe vorprogrammiert sei, dass die Firma auf dem Spiel stehe, aber er hat mich ignoriert. Nun, zwei Jahre später, bin ich widerlegt. Mit den Sauf- und Kokaintouren ist es vorbei – ebenso wie mit Johns Ehe, seinem Glück, seiner begonnenen Karriere als Anwalt in der Werbebranche, seinem Humor. An ihre Stelle sind wöchentliche Treffen der NA (Narcotics Anonymous) und der AA getreten, das Fitnessstudio und Zigaretten.
Ich betrachte die geschwungenen Fleischerhaken, die im Licht Hunderter Strahler und Lampen blitzen, und dann merke ich, wie John mich mustert. Paul behauptet immer, er hätte John nie von meinen Vorbehalten erzählt, aber als ich diesen Blick sehe, fürchte ich, er hat es doch getan. Blut ist eben dicker als Wasser.
»Ich fand, das ist genau der richtige Ort, um den Erfolg von Forwood TV gebührend zu feiern«, sagt Sergei.
»Wohlverdient nach Inside-Out. Das Echo auf die Serie ist ja wirklich beeindruckend.«
»Einfach super!«, sagt Astrid. Ihr Enthusiasmus ist ansteckend, und wir lachen.
»Weißt du, wo Paul ist?«, frage ich Sergei.
»Hat er dich schon allein gelassen?« Er dreht sich irritiert um.
»Nein, nein. Wir wollten uns erst hier treffen. Er hatte ein Meeting, das länger dauern sollte, deshalb bin ich allein gekommen.«
Ich registriere ein flüchtiges Stirnrunzeln. »Aha.« Sergei überlegt. »Gut, ich schau mal, ob ich ihn aufstöbere. Gerade vor fünf Minuten habe ich ihn im Gespräch mit ein paar hohen Tieren von CPTV gesehen.«
»Da kommt er doch!«, ruft Astrid. Groß, wie sie ist mit ihren langen, staksigen Beinen, hat sie über alle Köpfe hinweg für mich Ausschau gehalten. Sie winkt ihm zu und strahlt, als er zu uns stößt und mich auf die Wange küsst.
»Meine Frau!« Er lässt den Arm um meine Taille liegen, als wollte – oder sollte – er mich festhalten. »Wo ist dein Glas? Hier, Sekt für Kate!« Er bekommt einen der Kellner zu fassen, die mit Tabletts herumgehen, und reicht mir eine Flöte. Paul trägt Smoking. Er strotzt vor Energie, seine Wangen glühen, er ist in voller Fahrt. Hier klopft er jemandem auf die Schulter, dort nimmt er Glückwünsche und lobende Worte entgegen. Er stellt mich ein paar wichtigen Leuten aus der Branche vor, und ich zeige mich aufmerksam und gebe mein Bestes, damit sie sich wohl fühlen. Solche Erfolge sind mir umso wichtiger, weil ich fürchte, die Liste meiner Fähigkeiten ist nicht besonders lang. Während wir darauf warten, unsere Plätze gezeigt zu bekommen, steht Paul im Zentrum der Aufmerksamkeit; er ist der entscheidende Mann, um den sich an diesem Abend alles dreht, den sie alle umschwirren, die vielen Leute mit ihren Ambitionen und Karriereplänen.
Eine halbe Stunde später setzen wir uns zum Essen. Ich finde mich an dem Tisch mit den ganzen VIPs wieder, obwohl ich mir bei solchen Anlässen in der Regel
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